Von Daniel Hermsdorf
Der Schöpfungsbericht ist eine Kindergeschichte. Die Geschichte könnte eine andere sein, diese Welt nur eine Version von vielen. Georges (Pascal Duquenne) erzählt uns seine eigene: von der Musik, die allem vorausgeht, von Wasser, Wind und den Menschen. Am siebten Tag ruht Gott sich aus und erschafft die Wolken, die alle Geschichten erzählen, wenn man nur geduldig zuschaut.
Und da ist Harry (Daniel Auteuil), der Kundenberater für die »Future Bank« ausbildet und seine Vergangenheit nicht vergißt. Doch wenn sie ihn in Gestalt seiner beiden Töchter besucht, hat er keine Zeit. Punkt eins: Lächeln. Punkt zwei: dem Kunden in die Augen sehen. Punkt drei: souverän wirken. Punkt vier: Enthusiasmus zeigen. Immer wieder buchstabiert er das Verkaufsrezept, immer legasthenischer gerät sein Lebensalphabet. Halb bewußt will er sich umbringen und überfährt nächtens einen Hund: So findet er Georges, der an Trisomie 21 leidet, seinem Wohnheim entflohen ist und zu seiner Mutter will. »Maman est la plus belle«, träumt und singt Georges mit dem Schmalzchanteur Luis Mariano (Laszlo Harmati), doch maman ist schon vier Jahre tot.
Von diesem Augenblick an hält sich Jaco van Dormael häufig an das politisch korrekte Konzept von Barry Levinsons Rain Man (1988): Manche Wendung und Geste, manche Spannung und Komik, sogar Spielorte wie das Motel sind direkt dem Autistendrama entnommen. Doch Am achten Tag ist keine amerikanische Stromlinienkost, sondern will europäische Autorenkreation sein.
Pascal Duquenne selbst ist »mongoloid«, wie die angejahrte und willfährige Bezeichnung seiner Krankheit lautet. Dormael nimmt diese schräge Terminologie ironisch auf, läßt Georges gelegentlich in Dschingis-Khan-Montur posieren und darüber lachen. In der Tradition des Poetischen Realismus stülpt der Regisseur gern die Wirklichkeit um und bebildert Georges' eigenwillige Wunschträume. Wenn sie sich mit einem Marienkäfer zu den Wolken aufschwingen, entschwebt auch die Kamera wie ein Insekt. Und wenn Georges auf dem Wasser geht, ist es nicht nur ein Trick – »Jesus, he knows me«.
Schon in van Dormaels Langfilm-Erstling Toto le Héros (1990) spielte Pascal Duquenne eine Nebenrolle, war der Protagonist ein Insasse eines (Alten-)Heims, der sich aus dem Staub macht. Auch dort ging es mehr um das Spiel der Möglichkeiten als um die Wahrheit selbst. Wenngleich Am achten Tag noch eine Spur rührseliger daherkommt und – wie sein Vorgänger – auf Spielereien mit Musicalelementen zurückgreift, bleibt dieser Film ein anmutig tragikomischer Fleck im Gedächtnis. Das Evangelium Georges.
1970-01-01 01:00