Flugzeugfetischist
Von Sascha Seiler
Man wußte ja nicht so recht, welcher Teufel Martin Scorsese geritten hatte, als er sich dazu entschloß, Leonardo DiCaprio – immerhin der größte Schwachpunkt seines ansonsten entgegen aller Kritik doch sehr gelungenen
Gangs of New York – die Hauptrolle in diesem 3-Stunden-Spektakel zu übertragen. DiCaprio, schon seit mindestens zehn Jahren nicht mehr seinem frühen Ruf als hervorragender Charaktermime gerecht werdend, ist in fast jeder Szene des Films zu sehen; auch spielt er mal wieder einen Menschen mit starken psychischen Problemen – ein Wink zur Academy, um verlorene Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen?
Auf jeden Fall ist
Aviator eine klassische, monumentale Hollywood-Schmonzette, in der sich dieses Glamour-Hollywood gleichsam selbst glorifiziert. Heraus kam ein Film, der dem Lebenswerk Scorseses einfach unwürdig ist; dennoch entbehrt es nicht einem gewissen Reiz, dem interessanten Drehbuch und der soliden Inszenierung zu folgen. Daß der Film als Studie eines psychischen Verfalls Meilen hinter dem auch weit vom Meisterhaften entfernten Handwerk etwa von Ron Howards
A Beautiful Mind zurückbleibt, ist schlicht unentschuldbar. Die Beliebigkeit von
Aviator geschieht trotz der plötzlich wiederentdeckten schauspielerischen Wandlungsfähigkeit DiCaprios, der das unerträgliche Overacting von Cate Blanchett und die Standardperformances von Kate Beckinsale und Alec Baldwin gegenüberstehen. Leonardo DiCaprio und ein engagiertes Drehbuch also retten einen Film, dessen Grundidee schon so langweilig und altmodisch klingt, daß die Frage aufkommen muß: Wer außer Flugzeugfetischisten soll sich das überhaupt ansehen?
Aviator ist nicht schlecht; der Film ist unterhaltsam und eindeutig dem gehobenen Mittelmaß zuzurechnen. Fast scheint es, als habe sein Regisseur es vorgezogen, diesmal nicht, wie es im Künstlerjargon so schön heißt, grandios zu scheitern, sondern es sich in der Nische der Durchschnittlichkeit bequem zu machen.
1970-01-01 01:00