Geschmacklos in Alidschistan
Von Sebastian Gosmann
Love it or hate it. Entweder oder. Dazwischen gibt's nicht. Schon im Vorfeld des Kinostarts war zu spüren, daß Sacha Baron Cohens Zweiter die Zuschauerschaft spalten wird. Womit haben wir es denn nun zu tun? Mit einer herrlich-respektlosen, politisch bis ins Dorthinaus unkorrekten (Pseudo)-Culture-Clash-Komödie oder doch eher mit einer dümmlich-naiven Bad Taste-Posse?
Jetzt sag ich Ihnen mal was: Dazwischen gibt's doch! Einerseits spielt Cohen die schon aus der Ali G-Show bekannten Stärken seiner kasachischen Reporterfigur vollends aus, wenn er auf seiner Reise durch die U, S and A (O-Ton Borat) etwa einem Rodeoveranstalter dessen abscheuliches Gedankengut entlockt. Borats gespielte Unsicherheit im Umgang mit der englischen Sprache und seine Unbedarftheit in Gestik und Mimik suggerieren dem Interviewten einen geistigen Schulterschluß, dann noch ein wohl platziertes Signalwort – und schon ist's aus mit der Beherrschung des Berufspatrioten: »Du solltest dir den Schnurrbart abrasieren, sonst denkt man noch, du wärst so'n scheiß Moslem, und knallt dich ab!« Zudem macht es natürlich einen Heidenspaß, Cohen dabei zuzuschauen, wie er eine Sau nach der anderen rausläßt. Der Mann hat einfach die sagenumwobenen »Funny Bones«. Will sagen: Unterhaltsam ist das Ganze schon. Sehr sogar.
Allerdings ist Cohen dabei größtenteils dermaßen weit unter der Gürtellinie unterwegs, daß der Film mit der Zeit zu einem zwiespältigen Vergnügen wird. Fäkalhumor ist Trumpf, nicht nur auf dialogischer Ebene. Geschmacksfrage: Ist es wirklich witzig, Borat dabei zuzuschauen, wie er am Wegesrand in eine Hecke kackt? Das Ganze wirkt letztendlich doch ziemlich aufgesetzt. »Provozieren um jeden Preis«, scheinen sich die Macher auf die Fahnen geschrieben zu haben. Die Szene, in der sich Borat von einem ahnungslosen Hotelangestellten ein an ihn adressiertes Telegramm vorlesen läßt, in dem ihm – Hi Five! – der Unfalltod seiner Frau mitgeteilt wird, ist nicht nur jenseits jeglicher moralischer Grenzen und schlichtweg unwitzig, sondern auch völlig unnötig. Da gefriert einem das Lächeln selbst noch hinter der vorgehaltenen Hand.
Die Geschmacklosigkeit gipfelt dann in einem sich schier unendlich hinziehenden Hotelzimmer-Nackt-Ringkampf mit Borats mehr als übergewichtigen Produzenten und Wegbegleiter Azamat, bei dem sich selbst die Hartgesottensten angeekelt im Kinosessel hin- und herwinden dürften. Spätestens hier wird der Film zur Selbstkasteiung. Man hätte einfach ein bißchen mehr Köpfchen – dafür vielleicht etwas weniger »dicks« und »vaginas« – erwartet von einem Mann, der im TV schon so viel richtig gemacht hat. Weil er sich zu dosieren vermochte.
Eines muß man ihm jedoch lassen. Die Konsequenz, mit der Cohen in Borat zur Sache geht, sucht wahrlich ihres Gleichen. Vor allem die einleitende Sequenz, in der er uns durch sein heruntergekommenes kasachisches Heimatdorf führt und uns wichtige Gemeindemitglieder vorstellt, ist harter Tobak: »This is Tolkay, the town rapist.« Wenig später sehen wir Borat in Action. Er berichtet live von den alljährlichen Feierlichkeiten antisemitischer Prägung, bei denen »der Jude« durchs Dorf getrieben wird. Wer in diesem Moment nicht darüber informiert ist, daß Baron Cohen selbst jüdischer Abstammung ist, dürfte schon jetzt seinen Kram zusammenpacken und aus dem Kinosaal flüchten.
Auch wenn es sich bei diesen derben Heimatimpressionen offensichtlich um Satire handelt, bleibt immer noch die Frage, warum es denn nun ausgerechnet Kasachstan sein mußte. Wer zweifelt denn ernsthaft daran, daß das Konzept ebenso gut aufgegangen wäre, hätte sich Borat als Einwohner irgendeiner Fantasienation, etwa Ali-G-Stans (sprich: Alidschistan), ausgegeben? Jetzt mal ehrlich. Hätte doch auch keiner gemerkt da drüben.
1970-01-01 01:00