Herzblattschuß
Von Carsten Happe
Angenommen, Charlie Kaufman hätte seinen fiktiven Zwillingsbruder in
Adaptation nicht Donald, sondern Andy genannt – die Verbindungslinien zu
Geständnisse wären auf die Infantilisierung des US-Fernsehens und den vermeintlichen Untergang der Unterhaltungskultur ausgeweitet, welche Chuck Barris ebenso zu verantworten hat wie der
Man on the Moon. So aber müssen wir uns mit der Diagnose einer Schizophrenie begnügen, die der Autor bereits bei
Being John Malkovich offenbarte und die nun immer mehr zum bestimmenden Topos seiner Drehbücher wird.
In
Geständnisse sind die Risse in der Persönlichkeit des Fernsehproduzenten und Moderators Chuck Barris, dem Erfinder vom
Dating Game, der Urversion von
Herzblatt, sowie der legendären
Gong Show, von der ersten Einstellung an omnipräsent. Nackt und verwirrt vegetiert der einst gefeierte Medienstar in seinem verwahrlosten Hotelzimmer vor sich hin, allein von der Niederschrift seiner Memoiren am Leben gehalten.
Darin offenbart Barris Unfaßbares: Parallel zu seiner Erfolgsgeschichte vor und hinter der Mattscheibe tötete er im Auftrag der CIA mehr als dreißig Menschen, operierte jahrelang an den unsichtbaren Grenzlinien des Kalten Krieges. Die Unverfrorenheit seiner Enthüllungen mündet gar darin, daß Barris seinen Fernsehjob mit den Geheimdienstaktivitäten verknüpft, indem er seine Herzblatt-Paare an solch exotische Orte wie Helsinki oder West-Berlin begleitet, um nebenbei flugs Liquidationen durchzuführen. Verständlich, daß dieser Tanz auf dem Vulkan kaum von Dauer sein kann.
Barris driftet mehr und mehr in den Wahnsinn ab – in die Idiotie seiner hanebüchenen TV-Shows, wobei das Konzept der
Gong Show selbst das
Dating Game noch an Trivialität überflügelt, sowie den Wahnwitz seiner Spionagemissionen, die ihn unaufhörlich verfolgen. Zu Beginn der 80er Jahre ist Barris am Ende, nur mehr fähig, seine unbewiesenen Reminiszenzen zu Papier zu bringen.
Diese
Confessions of a Dangerous Mind hat Regisseur George Clooney in einem permanenten Schwebezustand gehalten. Er ist kaum an der Wahrheitsfindung der bizarren Behauptungen interessiert, sondern versucht vielmehr, den Menschen hinter seinen unzähligen Masken zu entdecken. Das macht den Film einerseits stets verblüffend, auf der anderen Seite aber auch wenig greifbar und letztlich unverbindlich.
Clooneys Inszenierung ist dabei so uneben, wie es einem Debütanten zugestanden sei, punktuell jedoch derart gekonnt und inspiriert, daß er sich durchaus diverse Fleißkärtchen von seinem Kumpel Steven Soderbergh abholen darf. Sam Rockwell dagegen findet genau das, was zuvor etwa Robert Downey jr. mit
Chaplin erreichte: seine Erfüllung, die größte Herausforderung seiner Karriere, die er ebenso meisterhaft besteht. Sein Chuck Barris ist in der Tat das »Dangerous Mind« des Filmtitels, gefährlich für jeden, der seinen Weg kreuzt, selbstzerstörerisch obendrein. Charlie Kaufman hingegen findet in Barris seinen Meister – einen imaginären Zwillingsbruder hat dieser für seine Krisenbewältigung nicht gebraucht, allein ein imaginäres Selbst.
1970-01-01 01:00