Von Rüdiger Suchsland
Ein Anfang wie unschuldiges Glück: Stille, ein Paar, Küsse und Umarmungen, Liebesschwüre auf der Wiese. Aus dem Off ertönt Streichermusik, und so wie diese, ist auch der Film in seinen ersten, hervorragenden Minuten sehr rhythmisch und dabei gewissermaßen abstrakt. Denn Regisseur Todd Field läßt sogleich spüren, daß da mehr ist, mehr kommen wird, als er uns zeigt.
Zunächst sind es nur Skizzen. Ein Fischerdorf, ganz alltägliches Leben. Die Idylle der Normalität. Zugleich voller kleiner Brüche. Also genau das Gegenteil von den falschen Idyllen, die ein Film wie
Schiffsmeldungen konstruiert, auch der ein Familienfilm aus der Welt der Fischer. Aber verlogen, alle Brüche mit Kitsch zuschmierend.
In the Bedroom ist hingegen von Beginn an ganz wahrhaftig und gegenwärtig. Der Titel, das erfährt man schnell, meint Gefangenschaft, erzählt von der Hummerfischerei, von der Falle, in der der Hummer festsitzt…
Man taucht ein in die heile Welt von Middle America: Die Leute treffen sich zum Baseball oder zum Grillen. Man ißt Cole Slaw, trinkt Budweiser, der Priester wird hinzugeladen, die Frauen machen die Küche und singen im Kirchenchor. Eine Welt, die geprägt ist von Selbstverständlichkeiten und Offenheit. Dazu gehört, daß man die Tür unabgeschlossen läßt. Jeder kann rein. Auch die Falschen.
Der einzige Sohn des Hauses, Frank, ist mit Natalie zusammen, die etwas älter ist. Das Paar vom Anfang. Sie hat schon zwei Kinder, lebt getrennt, doch ihr Ex will nicht loslassen. »Es ist nur ein Sommer-Ding«, sagt der Sohn zur Mutter, der der kleine Ausbruch des Sprößlings aus der Norm schon suspekt ist, doch sie glaubt ihm nicht, und man ahnt, daß sie recht hat.
Wie Natalies Ex-Mann zum ersten Mal zuschlägt, zeigt die Kamera nicht. Man sieht nur Franks verletztes Gesicht, das sein Vater Matt verarztet.
Nach einer guten halben Stunde bricht der Tod mit gewaltsamer Macht in dieses Leben ein. Und zum ersten Mal nimmt
In the Bedroom eine unerwartete Wendung, ändern sich alle Erwartungskoordinaten der Zuschauer. Todd Fields Mittel, um die Sprachlosigkeit der Überlebenden auszudrücken, ist das Nicht-Zeigen. Dann sieht man das Zimmer des Toten, frische Zeichnungen, erst wenige Tage alt, doch schon ohne Verbindung zum Leben. Schöne Bilder mit Schwarzblenden vereinzelt. Der Vater weint im Zimmer.
Es gibt keinen Augenblick, in dem man nicht daran denkt. Eine Schranke, die zugeht. Eine Ampel, die rot wird. Diese Momente der Ruhe sind die schlimmsten, denn in ihnen kommt die Erinnerung zurück. Mit der Kraft der Reduktion zeigt Field die Trauer der Eltern und ihren Zorn darauf, daß der Mörder nur wegen Totschlags angeklagt wird, auf Kaution freikommt. Daß er lebt, während der Sohn tot ist. »Ich verstehe«, sagt der Anwalt. »Tun Sie nicht«, erwidert der Vater.
Der britische Schauspieler Tom Wilkinson, dessen Gesicht man aus vielen Filmen, etwa
Ganz oder gar nicht,
Shakespeare in Love und Ang Lees
Sinn und Sinnlichkeit kennt, spielt diesen ganz normalen Menschen, der durch eine Gewalttat aus seinem Leben herausgerissen wird und für den dann nichts mehr normal sein kann. Zu den besten Szenen des großartigen Films gehört der Moment, an dem nach Wochen des Schweigens die Spannung zwischen den beiden Eltern explodiert. Die Mutter macht den Vater indirekt verantwortlich für den Tod des Sohnes, er wirft ihr vor, einen »Trauerwettbewerb« zu veranstalten. Und danach nimmt die Geschichte ihre zweite Wendung…
Erst langsam, ganz allmählich deckt der Film wirklich alle seine Karten auf. Ein alttestamentarisches Drama in drei Akten, um Liebe und Tod, Trauer und Rache, Haß und Vergebung, getragen gleichermaßen durch die Intensität seiner ernsthaften Geschichte, wie durch die kühle Genauigkeit und Konzentration seiner Form. Zugleich ein Blick in die Tiefe des Abgrunds, der in uns allen lauert. Denn der wahre Schrecken kleidet sich in Beiläufigkeit. Kaum spürbar kommt er um die Ecke, und man erkennt ihn erst, wenn er da ist. Und dann ist es zu spät.
In the Bedroom ist dabei untergründig auch ein Film, der von der Gewalttätigkeit unter der Idylle handelt, vom Schreckenspotential, das Middle America innewohnt. Es ist eine Welt, in der – in diesem Fall – das Ende mit Schrecken nicht den endlosen Schrecken beendet. Denn Matt, das wird in den letzten Minuten dieses eindrucksvollen Films gewiß, steht das Schlimmste noch bevor.
1970-01-01 01:00