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Magnolia

USA 1999. R,B: Paul Thomas Anderson. K: Robert Elswit. S: Dylan Tichenor. M: Aimee Mann. P: Joanne Sellars. D: Julianne Moore, Tom Cruise, John C. Reilly, Jason Robards, William H. Macy, Philip Seymour Hoffman u.a.
189 Min. Kinowelt ab 13.4.00
Von Fritz Göttler Magnolia, das ist ein Duft von Süden und Sonne. Ist Kindheit und Frühlingserwachen und Melodram. Ein Adel des Herzens, zu dem gehört ein Gefühl der Verlorenheit. Magnolia Boulevard, eine der Hauptverkehrsadern im San Fernando Valley. Für Paul Thomas Anderson ein Zeichen ohne Bedeutung, eine mystische Anrufung. Der Regen in Magnolia verschleiert den Blick in die Vergangenheit, in die Zukunft, er hüllt die Menschen in einen Kokon. Es ist eine prähistorische Zeit, in der sie sich bewegen, Amerikas vorsintflutliche Epoche – Kalauer sind durchaus erlaubt, beim Versuch, das monströse Werk von Paul Thomas Anderson zu beschreiben.

Eine Welt, die von ihrem eigenen Erwachen zu träumen scheint. Der Reichtum der Kindheit ist geprägt von Bedeutungslosigkeit. Alles ist möglich, und die Weisheit der Kinder grenzt ans Magische. Sie wissen alles, das Nutzlose wie das Sinnvolle, die Fakten und die Melodien des Lebens. Erwachsenwerden, scheint es, ist Vergessenlernen, man sieht es an den beiden Kindern dieses Films, dem Super-Quiz-Whizkid und Tom Cruise – der seinen Familienroman umgeschrieben hat, um den Vater auszulöschen, zu vergessen.

Wie eine groteske Psychoanalyse gebärdet sich das Werk von Paul Thomas Anderson. Überall die gleiche unglaubliche Insistenz: dieses Bohren und Nachfragen, dieses Immer-mehr-wissen-Wollen im Interview (Tom Cruise), im Gespräch zu zweit (der freundliche Cop), in den Fragen des Fernsehquiz. Wir sind keine Realisten, schreibt Charles Fort in seinem »Book of the Damned«, wir sind keine Idealisten, wir sind Intermedialisten – daß nichts real ist, aber auch nichts irreal… Daß unsere ganze Quasi-Existenz ein Zwischenzustand ist zwischen Eindeutigkeit und Nichtexistenz, zwischen Realem und Irrealem. Wie das Fegefeuer, glaube ich.

Eine letzte Rettung vor dem Realismus mag die Liebe sein. Die vom Zigeuner stammt und das Leben ins Melodram zurückverwandelt, in große Oper. »Man muß sich bemühen, Gutes zu tun«, erklärt Anderson und weiß, wie blöd das klingt: »Aber man würde gern glauben, der Krebs befällt einen rein zufällig – aber ist er nicht auch das, was einen von innen her verzehrt, wenn man immer nur Böses tut, wenn wir nicht versuchen, Vergebung und Erlösung zu erlangen?«

Ja, Anderson ist einer, der als Zyniker auftritt in der Hoffnung und eigentlich ein großer Sentimentaler ist. Wenn er über den freien Fall reflektiert, ist das weniger poetisch gesäuselt als beim Kollegen Wenders. Anderson hat den brutalen Aufprall am Boden immer im Blick.

Der Regen in Magnolia. Was dem Schutz diente zu Beginn, wird zur Beklemmung am Ende. Andersons Werk sucht jenen Moment der Freiheit, den der Lauf der Geschichte – jenes aberwitzige, unerbittliche Zusammenspiel von Zufällen und Fatalitäten – dem Menschen läßt. 1970-01-01 01:00

Abdruck

Dieser Text ist erstmals erschienen im Schnitt #18.

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