— — —   DER SCHNITT IST OFFLINE   — — —

Open Hearts

Elsker dig for evigt. DK 2002. R,B: Susanne Bier. B: Anders Thomas Jensen. K: Morten Søborg. S: Pernille Bech Christensen, Thomas Krag. M: Jesper Winge Leisner. P: Zentropa. D: Sonja Richter, Nikolaj Lie Kaas, Mads Mikkelsen, Paprika Steen u.a.
114 Min. Arsenal ab 9.1.03

Keine Gewißheiten

Von Thomas Waitz »So was passiert jeden Tag, und das Leben geht weiter«, sagt Niels zu Marie. Was aber, wenn das Leben plötzlich nicht weiterginge? Wenn es zu einem Halt käme, einfach stehen bliebe? Nein, das tut es natürlich nicht. Und doch sieht es manchmal so aus.

Niels und Marie sind zwei der vier Protagonisten in Susanne Biers Film. Die beiden sind ein Paar, und mit ihrer Tochter scheinen sie eine ziemlich gewöhnliche, aber doch halbwegs zufriedene Familie abzugeben. Dann sind da noch Cecilie und Joachim. Beide sind Mitte Zwanzig, voller Pläne für die Zukunft und träumen von einer Hochzeit, irgendwann einmal. Bis zum Autounfall, bei dem Joachim unter dem Wagen liegt, den Marie gesteuert hat. Das geht ganz schnell. Es gibt überhaupt nichts vordergründig Spektakuläres in dieser Szene, kein Slow Motion, der den Aufprall in die Unendlichkeit dehnen würde. Doch als es geschehen ist, scheint im Bruchteil des Bruchteils einer Sekunde die Zeit still zu stehen. Ein winziger Augenblick ist es nur, der alles anders werden läßt. Am Ende wird nichts mehr sein wie zuvor, in einem doppelten Sinn: für die Protagonisten, aber auch für die Zuschauer.

Joachim kommt schwer verletzt ins Krankenhaus. Er überlebt, doch auf eine verzweifelte Weise scheint ihm all jenes, was das Dasein über ein simples Funktionieren des eigenen Körpers hinaus ausmachte, entglitten zu sein. Daß er ganz sicher nie wieder werde laufen können, haben die Ärzte ohne großes Mitleid gesagt, nüchtern, unmißverständlich, wie Ärzte das vielleicht sagen müssen. Da bleibt von Anfang an wenig Raum für Hoffnung, und Joachim, der jegliche Selbstachtung verloren zu haben scheint und in düsterem Dämmern in sich selbst versinkt, wendet sich von Cecilie, die ihn dessen ungeachtet immer wieder im Krankenhaus besucht und stundenlang an seinem Bett sitzt, immer mehr ab.

Kleine Gesten, ein dahin geträumter Augenaufschlag, ein einziger Blick nur, die flüchtige Berührung der Hand: Immer wieder gibt es kunstvoll in den Fluß der warmen Dogma-Bilder montierte, in 8mm gedrehte Sequenzen, eine Art des filmischen Optativs, die eine andere Möglichkeit bilden, wie es eben auch sein könnte. Das artifiziell Gebrochene jenseits einer zur Gänze dem vermeintlich unüberhöhten Realismus verpflichteten Bildsprache bricht immer wieder in die erwartbar gewordene Ästhetik des Dokumentarischen ein. Das Apparathafte des Mediums leuchtet immer wieder durch: Wie eine liebevolle Hommage an die Macht des Kinos und der Bilder erscheint es, wenn in Cecilies Sehnsucht fast unmerklich die Laufgeräusche eines Projektors auf der Tonspur hörbar werden.

Open Hearts reflektiert eine moderne Lebenswirklichkeit, die wenig Gewißheiten bietet – und das umso mehr, sobald sie das romantische Konstrukt der Liebe aus Passion betrifft: Es läßt sich in der Sprache dieses Entwurfs eben schlecht sagen, warum sich Menschen ineinander verlieben und, vielleicht viel schwerwiegender, warum sie sich auch wieder entlieben. Die Fundamente, auf denen wir unser Leben aufbauen, halten nicht.

»Wenn ich dich nur genug liebe, liebst du dich vielleicht irgendwann wieder selbst«, sagt Cecilie in einem berührenden Moment zu ihrem Freund Joachim. Da hat sie ihn längst verloren, und es liegt eine ungeheure Traurigkeit in diesen Worten. Vielleicht, und davon erzählt der Film, gibt es sie dann ja doch, diese ganz andere Möglichkeit des noch einmal Neuanfangens. Open Hearts mag fast versöhnlich schließen, ist im Grunde aber sehr bitter: Damit etwas Neues beginnt, geht etwas anderes entzwei, und der Preis für einen kleinen Moment des Glücks scheint unbezahlbar hoch. Und so mag die Erkenntnis, daß das Leben dann doch in der einen oder anderen Weise weitergeht, gleichzeitig zynisch und tröstend sein. Von dieser Ambivalenz erzählt Open Hearts sehr bewegend, wahrhaftig und illusionslos. 1970-01-01 01:00

Abdruck

© 2012, Schnitt Online

Sitemap