Mit dem Holzhammer
Von Thomas Warnecke
Nicht allein mehr als ein Dutzend Verfilmungen belegen es: Carlo Collodis Meisterwerk
Pinocchio ist das perfekte Drehbuch. Es besteht hauptsächlich aus Dialogen, die Handlung schlägt permanent Haken und jagt, ohne dabei die Richtung zu ändern, von einem phantastischen Schauplatz an den nächsten, was die Vorlage bietet für die farbenprächtigsten Materialschlachten der Ausstatter; dem Helden stellen sich alle Hindernisse respektive Verführungen in den Weg, denen er bereitwillig verfällt, um dann wortreich zu bereuen. Die ideale Identifikationsfigur: das ewige Kind im Mann.
Genau so ist Roberto Benignis Film: Es sprudelt der Dialog, die hakenschlagende Handlung jagt von einem Schauplatz an den nächsten, die Ausstattung ist verschwenderisch und bunt; bereitwillig erliegt der Held jeder Verführung und kann sich auf seine bekannte gestenuntermalte Fabulierkunst verlassen, wenn es gilt, sich zu rechtfertigen. Das ewige Kind im Mann: Roberto Benigni. Er macht überdeutlich, aus welchem Holz er geschnitzt sein will, wenn zu Beginn der Holzscheit wie ein Geschoß durch das Dorf springt und alles kurz und klein schlägt. Die Erinnerung an das »Via! Via! – Aus dem Weg!« aus der Anfangssequenz von
Das Leben ist schön ist da nicht weit, der dort subtile Witz ist hier zu brachialem Klamauk geworden. Das ist nicht weiter schlimm, denn auch die poetische Seite wird vom Märchenerzähler Benigni und natürlich Nicoletta Braschi als guter Fee bedient. Kino für die ganze Familie, Spielberg hätte nichts daran besser machen können.
Benigni hat viel Schelte für seinen
Pinocchio bekommen, es wurden wahlweise die neue Lesart vermißt oder Ansätze von Aktualisierung. Dieser Kritik hat paradoxerweise die Promotion des Films in die Hände gespielt, indem sie von einer »Hommage an Fellini« sprach, weil schon dieser Benigni in der Hauptrolle eines freilich nie realisierten Pinocchiofilms gesehen hat. Die Dümmsten haben bemängelt, daß Benigni von Anfang an (abgesehen vom erwähnten Holzscheit) einen Pinocchio aus Fleisch und Blut gibt und kein etwa computerunterstütztes »hölzernes Bengele«, was freilich den Kern des Films ausmacht. So nämlich entgeht er dem moralinsauren Ende der Vorlage, wenn der nun Fleischgewordene sich von seiner vormals hölzernen Hülle und den damit verbundenen »Verfehlungen« abwendet, und erzählt die umgekehrte Geschichte als die des Filmkomikers Benigni, der unbedingt ein Hampelmann werden will.
Philologen mögen an Kleists Aufsatz vom Marionettentheater denken und liegen damit sicherlich weniger daneben als jene Holzköpfe, die wohl nur durch einen Animationsfilm zufriedenzustellen sind. Trotzdem bleibt für die Zukunft zu hoffen, daß Benigni neben Märchenwelten auch wieder den Alltag durchstreift; niemand begeistert sich über einen Komiker, der fröhlich über grüne Hügel hopst, und es gibt in den Fußgängerzonen und Einkaufszentren weitaus lustigere Verwüstungen anzurichten als in den Märchenkulissen und den Blumenbeeten der Phantasie.
1970-01-01 01:00