Traffic in Öl
Von Julian Tyrasa
Bei den Recherchen für das Skript zu dem Drogenthriller
Traffic bemerkte Drehbuchautor Stephen Gaghan nach eigener Aussage immer wieder erstaunliche Parallelen zwischen der Drogen- und der Ölmafia bzw. deren halbseidenen Vertretern in Politik und Wirtschaft. Als er dann auf das Buch »Der Niedergang der CIA« stieß, schienen die Weichen für die Dramatisierung dieses Stoffes gestellt, handelt es sich dabei doch um die Memoiren des Ex-CIA-Agenten Robert Baer. Diesen spielt nun George Clooney in Gaghans Film
Syriana. Das Wort ist ein amerikanischer Fachbegriff für die denkbare Umstrukturierung des Nahen Ostens (nach amerikanischem Vorbild, versteht sich) und umreißt damit schon die Themen des Films: Ausgehend vom Wirtschaftsgut Öl erzählt er viele kleine und große Geschichten um Macht und Unterwerfung, Maßlosigkeit und Ausbeutung, und immer wieder um Korruption, von der es an einer wichtigen Stelle einmal heißt, daß wir alle es doch nur durch sie schön warm und trocken haben. Um den Wohlstand der westlichen Welt zu sichern, schaltet daher CIA-Agent Bob Barnes Waffenhändler aus, biedert sich Bryan Woodman, der Analyst einer Energiehandelsfirma, bei Prinz Nasir Al-Subaai an, untersucht Anwalt Bennett Holiday die Rechtmäßigkeit einer Ölmulti-Übernahme und vieles mehr. Alle Personen verbindet, daß sie früher oder später tiefer in die Materie verstrickt sind als es ihnen gut tut.
Schon diese extrem gekürzte Inhaltsangabe macht deutlich, daß man alle Konzentration benötigt, um den Handlungssträngen in
Syriana folgen zu können. Das klingt nach hoch engagiertem, brisantem Politkino im Stil der 70er Jahre (wie etwa
All The President`s Men), und wenn man dann noch liest, daß Präsident George W. Bush den Film als »unmoralisch« bezeichnet hat, schürt das die Spannung um so mehr – doch
Syriana enttäuscht auf vielen Ebenen. Sicherlich ist allein die Existenz dieses Films schon ein Grund zu doppelter Freude: Politisch, weil man solch kritische Stimmen zum imperialistischen Selbstverständnis der USA dankbar aufnimmt; und filmhistorisch, weil zur Zeit anspruchsvolle und komplexe (Dialog-)Dramen (vgl. auch Spielbergs
München oder Andrew Niccols
Lord Of War) wie selbstverständlich in Multiplex-Kinos starten und Hollywood damit scheinbar eine Trendwende einleitet.
Man möchte
Syriana also aus vielen Aspekten mögen, aber blendet man alle guten Absichten einmal aus, bleibt ein extrem komplizierter und überladener Film mit einer recht trivialen Aussage: Bei der (Öl-)Mafia zählt ein Menschenleben wenig, und Gewalt erzeugt Gegengewalt. Anders als in seinem grandiosen
Traffic (dessen Regisseur Steven Soderbergh
Syriana übrigens ausführend produzierte) gelingt es Stephen Gaghan nur in wenigen Momenten, Anteilnahme zu wecken. Über weite Strecken verfolgt man die Entwicklungen wie ein Schachspiel: Hoch intellektuell, aber emotionslos – zumal hier ständig neue Spielfiguren unvermittelt kommen und gehen. Sowohl die halbherzig angedeutete Vater-Sohn-Problematik des Agenten als auch die radikale Entwicklung des Analysten nach dem schrecklichen Verlust seines Kindes bleiben reine Behauptungen, denen auch das (durchweg hervorragend agierende) Starensemble kein Leben einhauchen kann. Ohne jegliche Empathie aber herrscht trotz vieler Fakten natürlich bald Langeweile – wenn auch sozusagen auf höchstem Niveau.
Bemerkenswerte Qualität und äußerste Eleganz entfaltet der Film lediglich auf der formalen Ebene: Das Zusammenspiel der ebenso unaufdringlichen wie präsenten Musik (Alexandre Desplat liefert äußerst kunstvolle Variationen eines eindrucksvollen Leitmotivs) mit dem suggestiven Schnitt (Tim Squyres arbeitete bisher hauptsächlich für Ang Lee) erzeugt eine sogartige, traumhafte Atmosphäre der permanenten, lauernden Bedrohung; bedauerlicher Weise weckt das mehr Erwartungen, als der Film später erfüllen kann.
Um es abschließend noch einmal zu betonen: Man kann den abstrakten Wert von
Syriana (zu Zeiten weltweiter Terrorängste regierungskritisch und mit großem Aufwand in den USA gedreht) kaum hoch genug einschätzen – als Film allerdings bewegen vergleichbar komplexe Werke wie
The Insider,
Traffic oder
Lord Of War wesentlich mehr.
1970-01-01 01:00