Journalistenfilm ohne Meldung
Von Christian Gruber
Im Vorfeld der Veröffentlichung von The Insider gaben sich die Anwälte der Tabakindustrie die Klinken der entsprechenden Gerichte in die Hand, um den Start zu verhindern. Die Geschichte des Wissenschaftlers Jeffrey Wigand, der als zentraler Zeuge im Prozeß von 50 US-Bundesstaaten gegen die Branche als erster ehemaliger Leitender Angestellter ausgesagt hat, schien den Verantwortlichen zu heiß.
Nach Ansicht des Films stellt sich aber die Frage, was so aufregend oder gefährlich an ihm sein soll. In erster Linie ist The Insider nämlich ein Film über investigativen Journalismus und dessen Moralbegriffe. Al Pacino gibt als Lowell Bergman den Produzenten einer der bekanntesten und einflußreichsten Infotainmentshows des amerikanischen Fernsehens. Er gerät in Kontakt mit Wigand, und nach einiger Zeit ist Wigand bereit, seine Insider-Informationen preiszugeben.
Was man nun als Möglichkeit hätte nutzen können, die Machenschaften der Tabakindustrie in Bezug auf die Erzeugung einer Abhängigkeit zu entlarven, verkommt immer mehr zu einer Pacino-Show. Da wird zwar der jahrzehntelange Zusatz von Ammoniak in den Tabak erwähnt, aber die Folgen dessen und durchaus notwendige grundlegende Informationen bleiben aus. Dies macht dann schließlich das Grundproblem des Films aus: Er möchte gar nicht journalistisch sein. Er möchte weder Fakten liefern, noch möchte er aufklären. Er möchte niemanden direkt anklagen und eigentlich nur ein in Amerika schon längst tief implantiertes Faktum untermauern: Rauchen ist böse.
Michael Mann hat versucht, eine Geschichte aus einem simplen »Vanity Fair«-Artikel zu machen. Und dabei ist ihm gar nicht aufgefallen, daß es nichts zu erzählen gibt, kein Exposé, keinen Spannungsbogen, keine Handlung, nichts Episches – eben keine Geschichte. Bleiben als positive Vorkommnisse eines fast zweieinhalbstündigen Ärgernisses die ansprechenden Darsteller und eine für Michael Manns Verhältnisse gewohnt ansprechende Bildsprache. Die Produktionsausstattung, Farbwahl und die Kameraarbeit sind in jedem Moment authentisch und stimmig und werden durch Lisa Gerrard (Dead can Dance) und Pieter Bourke musikalisch ansprechend unterstützt. Eigentlich ist sogar die gesamte technische Seite dieses Films gelungen. Damit geht es Mann wie einigen Schriftstellern des Realismus. Sie haben über 50 Seiten ein Zimmer auf das Genaueste beschrieben und darüber vergessen, wer dieses Zimmer ursprünglich betreten hatte.
Bei The Insider stimmt alles, jede Tabakdose ist an ihrem Platz und alles im wahrsten Sinne authentisch – eine Geschichte ist nicht dabei und wohl auch nicht beabsichtigt. Damit gibt es folglich auch nicht den geringsten Grund, sich diesen Film überhaupt anzuschauen.
1970-01-01 01:00