— — —   DER SCHNITT IST OFFLINE   — — —

The Others

E/USA 2001. R,B,M: Alejandro Amenábar. K: Javier Aguirresarobe. S: Nacho Ruiz Capillas. P: Cruise-Wagner Productions, Sogecine, Escorpión. D: Nicole Kidman, Fionnula Flanagan, Christopher Eccleston, Alakina Mann, James Bentley u.a.
101 Min. Senator ab 10.1.02
Von Carsten Tritt Nachdem nach und nach jedes Geheimnis der Naturwissenschaften bis ins kleinste Gen aufgeklärt wurde, findet die Dichtung immer mehr in Bereiche zurück, die sie bereits im Sinne des aufklärerischen Geistes abgeschrieben hatte. Dabei gab es im Deutschland des 18. Jahrhunderts schon erste Stimmen, die Shakespeares Werke als Unfug abtaten, weil dort andauernd Gespenster auftraten, wo man doch wisse, daß es diese nicht gebe.
Jedoch haben Schreckensgeschichten bis heute überlebt, obwohl der klassische Gruselfilm zwischenzeitlich fast vom Stabber- und Splatterfilm verdrängt wurde.

Vor nicht allzulanger Zeit kam hierzu aber die interessante Gegenbewegung, die ihren bisherigen Höhepunkt in The Sixth Sense fand und die inmitten einer globalen Gesellschaft der fast uneingeschränkten Information erfolgreich auf das Unerklärliche setzt. Eben jenes neugeweckte Publikumsinteresse weniger am Übernatürlichen als am Unentdeckbaren ist wohl auch die Erklärung für die Produktion von Amenábars neuem Projekt durch Hollywoodheld Tom Cruise.

The Others ist eine Gruselgeschichte im klassischsten Sinne. Der Film spielt in einem abgelegenen Landhaus auf Jersey, natürlich in vergangener Zeit (1945). Dabei setzt er unter völligem Verzicht auf visuelle Schockeffekte auf leere Zimmer, dunkle Korridore und Geräusche aus dem Off. Amenábar gelingt eine ausgeklügelte Figurenkonstellation, durch deren Spiel die Räume erst lebendig werden. Da ist Grace mit ihren zwei unter Lichtallergie leidenden Kindern Anne und Nicholas einerseits – der Familienvater ist aus dem Krieg nicht zurückgekehrt – Mrs. Mills, Mr. Tuttle und Lydia, die neuen Hausangestellten von Grace andererseits, und dann gibt es eben jenes Mysterium, das die Vorhänge im Haus ständig öffnet und somit eine Gefahr für die beiden Kinder schafft, dem eindringenden Licht zum Opfer zu fallen. Alles ist ein wenig merkwürdig und insbesondere die Tatsache, daß das komplette Landhaus im ständigen Nebel liegt, der verhindert, daß auswärtige Hilfe geholt werden kann.

Amenábar schafft einen klar umgrenzten Raum des Unheimlichen, aus dem er seine Charaktere und auch den Zuschauer nicht entrinnen läßt. Er schafft eine düstere Atmosphäre und bedient sich mit Schatten und Nebel der ältesten Elemente des Gruselfilms, setzt sie aber so perfekt und konsequent ein, wie es kein Regisseur seit Mario Bava mehr geschafft hat.

Besonders aber beherrscht Amenábar das Timing – nicht nur, wenn es darum geht, durch grandioses Kamera- und Schnittspiel immer gerade die richtigen leeren Räume zu zeigen, sondern auch darin, stets zur rechten Zeit kleine Handlungsbrüche zu setzen, die den Zuschauer ob des von ihm Wahrgenommenen stutzig werden lassen. So ist über weite Strecken eine Einordnung sogar der Hauptfigur unmöglich, und obwohl ein einigermaßen genrefester Zuschauer fähig sein sollte, des Rätsels Lösung schon lange vor Filmende vorauszuahnen, wird durch die noch offenen Brüche die Gewißheit hierüber verhindert und die Spannung durch die ungewisse Vorahnung des Zuschauers immer weiter gesteigert.

Daß nun einige Drehbuchlöcher auch nach Filmende nicht auffüllbar bleiben, mag den Genuß auch im Nachhinein nicht im geringsten zu beeinträchtigen, zumal Amenábar seinen Film zu genau durchdacht hat, als daß es möglich erscheinen könnte, dem Regisseur wäre dies nicht selbst aufgefallen. Doch, so ist zu unterstellen, wußte er auch, daß es darauf im Ergebnis gar nicht ankommt. Schließlich ist doch sowieso alles nur Kino. 1970-01-01 01:00

Abdruck

© 2012, Schnitt Online

Sitemap