Auf dem Klo sind alle gleich
Von Oliver Baumgarten
Wie schön. Jetzt können wir Deutschen uns endlich wieder über unser Lieblingsthema unterhalten: den Führer. Und dieses Mal fast unbedenklich, weil ja so viele dekorierte Leute am Diskussionsobjekt beteiligt waren. Der Herr Fest und der Herr Eichinger, der Herr Ganz und der Herr Hirschbiegel. Und als auch »Der Spiegel« wieder einmal die günstige Gelegenheit ergriffen hatte, eines seiner beliebten Führer-Cover nebst einer längeren Story zu drucken und auch die FAZ von einem »Meisterwerk« schrieb, schien alles klar: Wir sind geheilt! Hitler läuft eine Träne aus dem Auge, und wir nehmen's gerührt zur Kenntnis. Hitler wird am Ende selbst von seinen engsten Vertrauten verraten, und wir können seine Einsamkeit nachvollziehen. Endlich geheilt!
Die Deutschen liegen auf der Couch bei Bernd Eichinger? Na ja. Die Wahrheit lautet eher: Bernd Eichinger sitzt mal wieder auf der Couch von Beckmann, Kerner und Co. Das dürfte es sein, was als Effekt des Films am Ende wirklich zählt. Der Untergang ist etwas, das in der Fernsehsprache seit kurzem »Event-Movie« heißt, normalerweise zwei Teile hat und viel Geld einbringt. Man greift sich einen irgendwie bewegenden Moment jüngerer Zeitgeschichte (also der Knopp-Epoche) heraus und erzählt ihn möglichst haarklein und ausführlich, historisch natürlich komplett verbrieft – wobei, das müsse man verstehen, nicht jedes Zwiegespräch selbstverständlich verbürgt sein könne. Aber der Rest: So war's. Gespielt von der ersten Garde Fernsehdeutschlands wird so von Millionen noch einmal waschecht Historie durchlebt.
Genau so funktioniert auch Der Untergang: lautstarke Behauptung in aufwendig produziertem Hochglanz inklusive medial verliehenem Authentizitäts-Prägestempel. Der Zuschauer würde kontinuierlich mit Fakten beworfen, wird Eichinger nicht müde zu betonen. Das ist natürlich absoluter Blödsinn bei dem Höchstmaß an Ästhetisierung, das jede Einstellung bestimmt, und wäre es ihm um Fakten gegangen, hätte er besser eine Dokumentation gemacht. Es gehört nun wirklich zum Einmaleins des Verständnisses von Kunst im allgemeinen und Film im besonderen, daß jede noch so kleine Inszenierungsentscheidung immer vom Faktischen abweicht und somit zu subjektiver Wertung wird. Das ist beim Untergang nicht anders, da kann sich Bruno Ganz beispielsweise noch so perfekt verkleiden und oberflächlich noch so kongruent imitieren: Sein Hitler bleibt Interpretation.
Die Behauptung der Faktizität aber weckt natürlich das morbide Interesse beim Publikum. Wie ist es Hitler wohl ergangen? Allein: Was kann es schon bringen, Hitler beim Verblöden und Heulen zuzuschauen, dabei, daß ihn alle verlassen, daß ihm auch das letzte Fünkchen Realität abhanden kommt, daß er faselt und vergreist? Schlimmstenfalls Mitleid. Die hier zugrundeliegende Struktur und dramaturgische Strategie erinnert ein wenig an jenen aufmunternden Ratschlag, den jemand zugesteckt bekommt, wenn er nervös einer Begegnung mit einer Autorität entgegensieht: »Weißt Du«, heißt es dann, »auf dem Klo sind alle Menschen gleich.« Auf eine Latrinenszene haben Eichinger und Hirschbiegel zwar verzichtet, aber doch wollen sie die als amtlicher Diktator ziemlich öffentliche Person auf die Ebene des Menschen bringen. Was es dort zu entdecken gibt? Absolut nichts, was wir nicht schon geahnt hätten und schon gar überhaupt keine Erklärung für irgendetwas. Ganz im Gegenteil droht die Verklärung.
Als zentrales dramaturgisches Grundproblem des Films erweist sich nämlich die Erzählperspektive aus Sicht der Sekretärin Traudl Junge. Ist diese Perspektive erst einmal eingeführt, verliert sie sich bereits nach einer halben Stunde in der Figuren- und Schauplatzvielfalt der Erzählung fast komplett. Je tiefer die Erzählung also reicht, desto mehr verliert der Zuschauer Traudl Junge als Bezugsfigur. Das wird spätestens in solchen Szenen fatal, die emotional geladen sind. Es ist anzunehmen, daß entsprechende Emotionen, wie etwa eine gewisse Rührung bei Hitlers Abschied von seinen Angestellten im Bunker, als Regungen konzipiert sein sollen, die sich in Traudl Junge abspielen. Sie verlagern sich allerdings auf den Zuschauer. Und das ist dann nicht minder manipulativ als all das, was ein Allerwelts-Hollywoodfilm vermag, wenn er gut unterhält. Was ich mir bei letzterem gerne gefallen lasse, ist mir beim Untergang deutlich zuwider. Ebenso die Tatsache, über zwei Stunden lang die vom Nazi-Regime hervorgerufenen Brutalitäten des Krieges recht explizit präsentiert zu bekommen, um mir dann am Ende die diversen Freitode der Schuldigen zu ersparen. Hitler macht's hinter verschlossener Tür, und bei Goebbels schwenkt Rainer Klausmann seine Kamera rechtzeitig und fast pietätvoll beiseite. Das zu sehen hätte ich nach alldem vorher auch noch überstanden, wenn nicht sogar benötigt – eine seltsame und fragwürdige Regieentscheidung.
Nein. Bernd Eichinger, dessen Zombiekiller-Film Resident Evil 2 gerade die Spitze der US-Charts erklommen hat, hat einen kassenpotenten und spekulativen Film produziert, der sich hinter seiner vorgeblich mutigen Position verschanzt. Und die behauptet nichts anderes, als daß es auch einen Hitler irgendwie privat gab. Einen, wie ihn sich Bruno Ganz vorstellt und ihn statuenhaft in Gesten, Mimiken und Hitlerbärtchen meißelt – was natürlich total super gespielt ist, weil man ja denken könnte, Hitler selbst stünde dort auf der Leinwand und buhlt um ein Fünkchen Verständnis. Für den Film gab es übrigens von der Filmbewertungsstelle Wiesbaden das Prädikat »Besonders wertvoll«, kategorisiert in das Genre »Doku-Drama«. Fehlt jetzt nur noch, daß Der Untergang beim Bundesfilmpreis die Kategorie Dokumentarfilm gewinnt, dann geht 60 Jahre nach dem Faschismus in Deutschland auch noch das Abendland unter.
1970-01-01 01:00