Von Carsten Tritt
Der Kölner Hauptbahnhof schien mir nie so labyrinthartig, um dort wie Hänsel, dem die Vögel die Brotkrumen weggefressen haben, herumirren zu können. Dennoch ist Lukas, gerade in die Großstadt eingefahren, völlig orientierungslos und panisch. Seine Schwester Kati, die ihn abholen sollte, ist mit ihrem Geschlechtsverkehr nicht zeitig fertig geworden und verspätet sich. Später zeigt sie Lukas sein neues WG-Zimmer, und der grinst wie ein Honigkuchenpferd. Dann rastet er aus nichtigem Grund aus, und zwischendurch scheitert seine Immatrikulation – er findet den Einschreibetisch nicht und trifft eine merkwürdige Gestalt (laut Abspann: »Jesus«).
Lukas' Probleme liegen nicht darin begründet, daß er – wie ich zunächst vermutet habe – ein bißchen blöde ist (gut, das mag auch der Fall sein), sondern sind Vorboten seiner in Kürze ausbrechenden Schizophrenie. Nach einem Drogenexperiment mit Pilzen hört Lukas nämlich Stimmen und landet nach seinem ersten Suizidversuch in der Psychatrie und nach dem zweiten in Spanien. Dort lauscht er als Penner dem Meeresrauschen, das die bösen Stimmen übertönt, und Lukas' Off-Stimme übertönt das Meer und erklärt uns, warum er jetzt endlich glücklich ist.
Für so einen Plot braucht der fleißige Handwerker zweierlei: Einen Hauptdarsteller, der das Emotionskarussell wiederzugeben vermag – den Part hat Daniel Brühl übernommen, der die Extreme seines Charakters genauso glaubhaft vermittelt wie Unsicherheit, Selbstbeherrschungsversuche und medikamentöse Dauermüdigkeit – und ein Buch, mit durchdachter Figurenkonstellation, -entwicklung etc. Genau da ergibt sich ein Problem.
Im Ergebnis hätte sich wohl alles gegenseitig zum gemütlichen Mittelmaß aufgehoben, hätte Weingartners Inszenierung der Geisteskrankheit dem Werk nicht den Rest gegeben. Sicher kann man von einer Low Budget-Produktion nicht erwarten, daß die unsichtbaren Stimmen unter Ausnutzung der Surround-Technik für den Zuschauer räumlich wahrnehmbar werden, wie es James Toback in Harvard Man erreicht hat. Das rechtfertigt aber nicht den unbeholfenen Geräuschmüll auf der Tonspur. Dazu noch der Versuch, die knappen Finanzmittel als Ansporn zu sehen, welcher sich in einer wackeligen DV-Kamera manifestiert.
Statt Lukas' Zerrissenheit zu unterstreichen – ich mutmaße, daß es so geplant war – schafft die uneinfühlsame Arbeit hier noch weitere Distanz zum präziseren Spiel seines Hauptdarstellers.
1970-01-01 01:00