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Westend

D 2001. R,B: Markus Mischowski. R: Kai Maria Steinkühler. K: Klaus Peter Schmidt. S: Christine Deriaz. M: Haifaboys. P: Kai Künnemann Filmproduktion. D: Markus Mischowski, Jens Claußen, Katharina Schaltz u.a.
89 Min. Rapid Eye Movies ab 9.10.03

Gersters Beste

Von Carsten Tritt Neulich im Fernsehen haben sich der eine, der die schönen Überleitungen macht, und der andere, der sich im Pokalfinale '73 selbst eingewechselt hat, über ein Fußballspiel pseudoanalytisch geäußert, unfähig, die konkreten Fehler benennen zu können. Dann sagte auch noch der Trainer etwas, und weil es keine größeren Mimosen gibt als Journalisten, konnte dann an den Folgetagen in den Gazetten gelesen werden, daß der Trainer schon aus Prinzip im Unrecht ist, und sogar das Adolf Grimme Institut beschwerte sich, wo wir denn hinkämen, wenn jetzt schon grauhaarige Schnauzbartträger seine Preisträger beschimpfen könnten.

Das fiel mir ein, als ich Westend geguckt habe, denn wie bei Journalisten kommt es auch für die Filmfiguren nicht darauf an, Ahnung von dem zu haben, was man macht, es reicht, wenn man ganz fest glaubt, daß man weiß, was man macht – oder sowas wenigstens behauptet.

»Heute haben wir den ganzen Tag ein Hochhaus geschützt«, gibt der Lehrlings-Wachmann an – und ruft mir den Nachtwächter aus Naked in Erinnerung, der »Raum« bewachte – und im Kneipenfernseher protzen RTL-Ausgaben von Netzer und Delling mit Fachwissen über den hohen Vollgasanteil in Monza. Das Laberproblem ist branchenübergreifend und wird bis zur Geschmacklosigkeit bloßgestellt: »Zeitarbeit macht frei«, weiß die Agentur McJob. Westend ist der Lehrfilm für jene, die soziale Probleme dadurch lösen wollen, daß es im Arbeitsamt jetzt statt Aktenzeichen »Kundennummern« gibt.

Die arbeitslosen Tore Mike und Alfred werden Objekte des Posings seitens ihres alten Kumpels Rasto, der sie für ein Filetstück aus seinem Immobilienfundus mit hervorragender infrastruktureller Anbindung einspannt. Während Rasto mit seiner Taktik zumindest Anfangserfolge feiern darf, versuchen seine Angestellten, die Masche zu kopieren. Doch diese weniger privilegierten Helden, die wie der Milchbubi-Wachmann noch den Unsinn meinen, den sie erzählen, scheitern dann doch an der Realität beim Versuch, den zu tiefgelegten Wagen wieder loszuschlagen (»Wer käuft denn sowas?«, fragt der Fachmann) oder sogar dabei, an der Bar ein Getränk zu bestellen.

Bemerkenswert ist die Stoffumsetzung, die mit trockenen zentralen Figuren an skandinavisches Arthouse oder mit asketischen Schauplätzen an den ganz frühen Jarmusch erinnern mag, wo tatsächlich aber sich die Hauptdarsteller nur ihrer begrenzten Möglichkeiten bewußt sind, der Kölner Vorort als Kulisse eben bloß trist ist und genauso in München oder Mannheim zu entdecken wäre, und auch wohl nicht mehr als 16mm-schwarzweiß finanzierbar gewesen wäre. Mit geliehenen alten Ford-Modellen und 80er-Jahre-Outfits bezeichnet man das dann als zeitlos, arbeitet geschickt mit Tiefenschärfe und schicken Einstellungen (siehe Bild oben links), und schreibt in den Abspann »Gedreht an Originalschauplätzen in Köln-Ossendorf«. Auch das ist alles bloß Bluff, im Zusammenspiel mit den Dialogen aber eine großartig fiese Parodie und inzwischen auch hochpolitisch – mögen sich die Regisseure, die den Film bereits im Jahr 2000, als noch keiner wußte, wer Hartz und Rürup sind, drehten, etwa als Propheten erwiesen haben und die gegenwärtige Situation Deutschlands vorausgesehen haben, in der nun selbst der Letzte zu begreifen scheint, daß man Probleme nicht schönreden kann, aber alle vergessen haben, wie das geht, etwas zu verändern?

Mischkowski und Steinkühler erweisen sich am Ende aber weniger als Spötter denn als Humanisten und gönnen wenigstens Alfred und Mike das glückliche Ende. Wieder arbeitslos und mit Küppers Kölsch in der Hand werden sie von einem komischen Typen angesprochen, ob sie für ihn arbeiten wollen. Eine Einstellung weiter drückt er ihnen Hirtenstock und Schäferhut in die Hand, und Alfreds Traumfrau schaut auch vorbei. Aus. 1970-01-01 01:00

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