Von Rüdiger Suchsland
Unglückliche Liebe, verpaßte Initiation, Dialoge mit dem eigenen Penis, oder wie man es überhaupt schafft, endlich das »erste Mal« zu erleben – all diese Fragen von Teenie-Klamotten à la American Pie sind glücklicherweise nicht das Thema von Alfonso Cuaróns Komödie Y tu mamá también. Der Film, der im Herbst im Wettbewerb von Venedig lief und seinen beiden jungen Hauptdarstellern prompt den geteilten Schauspielerpreis einbrachte, handelt gewissermaßen gerade vom Gegenteil: von einer rundum gelungenen Pubertät und vom Umgang mit diesem Überfluß. Zwei Freunde stehen im Zentrum, die siebzehnjährigen Julio und Tenoch. Über fehlende Sexerlebnisse müssen sie sich nicht beklagen, und auch als ihre Freundinnen für einige Zeit nach Europa reisen, beginnen sie nicht wie Mönche zu leben. Es dauert nur ein paar Stunden nach der Rückkehr vom Flughafen, da beginnt ihr Blick bereits wieder umher zu schweifen…
Von der ersten Minute seines Films an fragt Cuarón nach der Ökonomie der Liebe, zeigt, daß die Probleme zumeist nicht im Inneren liegen, nicht in den Abgründen psychischer Disposition, sondern gesellschaftlich vermittelt sind, in den Erwartungen und Urteilen der Anderen eher zu suchen sind, als in eigenen unerfüllten Ansprüchen. Demzufolge zeigt er seine beiden Hauptfiguren in ihrem Umfeld, dem wohlhabenden Großbürgertum von Mexiko City. Die Rituale und Redeweisen, die feinen Unterschiede dieses Milieus sind so genau beobachtet, daß jeder, der das einmal erlebt hat, es sofort wiedererkennt. Bei aller Komik – und der Film war in Venedig auch unter dem Fachpublikum einer der großen Renner – ist der mit leichter Hand inszenierte Y tu mamá también zumindest im Kontext seiner Heimat auch ein Stück ebenso kluger wie subtiler Sozialkritik.
Julio und Tennoch sind typische Ausflüsse einer Machogesellschaft, die ihre jungen Männer im gleichen Atemzug als Luxusprinzen hätschelt, wie sie sie mit eisernen Klauen ins Regime einer harten Disziplin zwingt. Aus dieser lockern sie sich erst, als sie gemeinsam ans Meer fahren, zusammen mit einer schönen alleingelassenen Ehefrau. Auch das, die verführerische Ältere, ist zunächst einmal ein Machotraum. Wie seine Figuren dann aber von Cuarón aufgeweckt werden, sollte man sich selbst ansehen.
1970-01-01 01:00