Die neue Genre-Synthese
Von Oliver Baumgarten
Im Grunde ist das alles nach dem Kinostart von Quentin Tarantinos
Death Proof ja schon zur Genüge diskutiert worden. Trotzdem: Jetzt, wo Robert Rodriguez’
Planet Terror herauskommt, wird erst so richtig klar, was die beiden Sonderlinge Hollywoods ursprünglich einmal vorhatten, als sie beide Filme, getrennt nur von drei Fake-Trailern, unter dem Titel
Grindhouse als 192-minütiges Ganzes ins Kino bringen wollten. Es sollte das perfekte Revival eines der heute selten gewordenen Exploitation-Double-Features werden, die in den 1980ern populär waren und in denen Kannibalen und Zombies, brutale Rocker und heiße Girls in nie gesehener Farbpracht und ungeahntem Einfallsreichtum die fiktive Menschheit dezimierten oder sonst irgendeinen Blödsinn anstellten. Das Double-Feature-Gefühl kann sich nach dieser aus Gründen des Marketings vollzogenen Trennung nun natürlich nicht mehr einstellen.
Trotzdem aber bietet
Planet Terror wie schon
Death Proof in gewisser Weise eine Reise in die nahe Kinovergangenheit. Was da in den 1970er/80er Jahren vornehmlich in Italien von Regisseuren wie Lucio Fulci, Ruggero Deodato, Umberto Lenzi oder Jesus Franco Manera an Splatter- und Terrorfilmen produzierte wurde, besaß eine urtypische Atmosphäre, bestehend aus kreischend buntem Look, aufreizend elektronisch klingendem Synthesizer-Sound-Teppich, wahnwitzigem Blut-Makeup und einem meist äußerst unorganischen Erzählrhythmus (geschuldet den oft massiven Kürzungen von Gewalt- und Ekeldarstellungen). Entwickelt hatte sich dieses Exploitationkino aus der langen italienischen Tradition erfolgreicher, wenn auch zumeist extrem billiger Unterhaltungsfilme, deren Themen und Darstellungen immer sensationeller und immer drastischer wurden. Angefangen hatte diese Serie Ende der 1950er mit den Sandalenfilmen, es folgten Mantel- und Degenfilme, der Italowestern, Agentenfilme, Gruselfilme bis hin zum Horror- und schließlich Splatterfilm, der mit Regisseuren wie Dario Argento sogar noch bis in die späten 1990er Jahre hinein lebte. Filme wie Umberto Lenzis
Großangriff der Zombies (1980) oder Lucio Fulcis
Zombie 3 (1988) sind typische Vertreter dieser Reihe und zeichnen sich formal durch ihren sehr plakativen Schauwert von Brutalitäten und Gräßlichkeiten aus. Sie spielen in Industrie- und Laboranlagen, in Krankenhäusern und ähnlich sterilen Orten, und dem Terror, dem die Figuren in Hülle und Fülle ausgeliefert sind, liegt zumeist vage eine vom Menschen verursachte Ökokatastrophe zugrunde – womit sich nicht nur ihr Tiefsinn auch schon erschöpft, sondern womit sie sich ganz wesentlich von den Filmen des Genrevaters George A. Romero unterscheiden.
All das weiß auch Robert Rodriguez, und all diese Filme wird er mit Sicherheit (wie Tarantino) gesehen haben in irgendeinem amerikanischen »Grindhouse«, also einem kleinen, schäbigen Schmuddelkino. Denn sein
Planet Terror ist eine wirklich liebevolle (wenn man das im Zusammenhang der blutigen Bilder mal so sagen darf), aber vor allem: handwerklich wie üblich erstklassige Hommage an genau jenes Kino. Perfekt ahmt Rodriguez die angesprochene Atmosphäre nach, komponiert den idealen Synthesizer-Sound, kreiert einen kreischend bunten Look und das vermutlich bis dato wahnwitzigste Blut-Makeup (irgendwo zwischen
From Dusk Till Dawn und Peter Jacksons
Bad Taste) – und selbst die unorganischen Schnittorgien der Jugend- und Moralschützer aus den 1980ern ahmt er nach. Dazu gibt der Film von Beginn an den Anschein, als handele es sich um eine Kopie aus den 1980er Jahren mit Kratzern und Laufstreifen, mit Knacken und Farbstichen, und in besonders brutalen Momenten des Films zensiert sich Rodriguez besonders gewitzt dadurch selbst, daß er so tut, als sei die Kopie an dieser Stelle bereits mehrfach geflickt worden, wodurch Einzelbilder fehlen und immense Kratzer die Sicht aufs offene Fleisch verstellen. Seine Gewalt- und Ekelbilder, mit denen er die Metzelei von durch Giftgas infizierten Zombies illustriert, fallen teilweise wirklich bemerkenswert drastisch aus, im Grunde einzig erträglich dadurch, daß sie ausnahmslos durch den Zerrspiegel meterdicker Ironie gefilmt sind – was dann auch der deutlichste Unterschied zu den Genrevorgängern aus den 1980ern darstellt. Trotzdem: Richtig rund wird die fast originale Nachahmung eines »Grindhouse«-Abends durch den vorgeschalteten Fake-Trailer zu
Machete, einem unfaßbar martialischen und pathetischen Rachethriller bester Charles Bronson-Manier mit Cheech Marin und Danny Trejo (dem mexikanischen Bronson, der immerhin 1987 noch in
Death Wish 4 auf selbigen traf). Daß
Machete wiederum kein Fake-Trailer bleiben wird, da Robert Rodriguez
Machete als Schnellschuß direct-to-video als Film komplett drehen will, zeugt auf ein Neues von der unbändigen, wenn auch wirklich verschrobenen Kinolust und -liebe des Regisseurs.
Bei aller handwerklicher Raffinesse, bei aller Sorgfalt und Detailversessenheit, trotz üppiger Bilder, witziger Dialoge und einer klasse Besetzung gehört
Planet Terror zu den Filmen, die jemand entweder liebt oder haßt, weil sie sich um nichts drehen außer um sich selbst. Wer vom zweifellos hohen Schauwert abgesehen nach einer weiteren Ebene sucht, findet sie ausschließlich in der Reflexion des beschriebenen Genres, im Dialog mit dessen Vorbildern, letztlich auch im Bemühen, nach Jahren des Stillstands eine neue Synthese für dieses Genre zu formulieren. Purer also kann ein Genrefilm nicht ausfallen.
1970-01-01 01:00