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Tödliche Versprechen

Eastern Promises. GB/CDN 2007. R: David Cronenberg. B: Steve Knight. K: Peter Suschitzky. S: Ronald Sanders. M: Howard Shore. P: Serendipity Point Films, BBC Films u.a. D: Viggo Mortensen, Naomi Watts, Vincent Cassel, Armin Mueller-Stahl, Sinéad Cusack u.a.
96 Min. Tobis ab 27.12.07

Alles nur Fassade

Von Martin Holtz Die Filme David Cronenbergs zeichnen sich aus durch eine fantasievolle metaphorische Verquickung leiblicher, seelischer und politischer Befindlichkeiten. Die Transformationen und Mutationen diverser menschlicher Körper, die der kanadische Regisseur vor allem in seinen frühen Splatterfilmen zelebriert, sind immer mit mehreren Bedeutungsebenen versehen. Cronenberg erzählt seine Geschichten sozusagen organisch codiert. Die Kamera fängt dabei den dramatischen Konflikt, der sich auf und in den Körpern der Protagonisten abspielt mit effekthascherischer Zeigefreudigkeit bei gleichzeitiger medizinischer Distanziertheit ein. Es ist so, als ob Cronenberg das Innere nach außen kehren will, das Metaphysische und Abstrakte verdinglichen will, um es wie ein Pathologe sezieren zu können.

Die gesellschaftlichen Krankheiten, die der Filmemacher auf diese Weise zu analysieren versucht, führen ihn nun schon zum zweiten Mal nach A History of Violence in die Gefilde des Gangsterfilms. In letzterem ergründete Cronenberg das Phänomen Gewalt in einem sehr amerikanischen Kontext, wie es in der nationalen Psyche zwischen Verdrängung und Faszination osziliert. Tödliche Versprechen spielt zwar im russischen Mafiamilieu in London, wirkt aber dennoch wie die logische Fortführung der Thematik, geht es doch um die Ursache und Konsequenz von Gewalt: Gefühlskälte. Das regnerische, in gewohnt düsteren Bildern eingefangene Stadtbild bietet die passende Kulisse für den Gewissens- und Wertekonflikt der von Viggo Mortensen gespielten Hauptfigur Nikolai. Nikolai ist »just the driver«, wie er immer wieder betont, nur der Aufpasser für den mißratenen Sohn des Gangsterbosses und Waffenschmugglers Semyon, der als Fassade ein Feinschmeckerrestaurant betreibt. Fassaden sind es, auf die der Zuschauer immer wieder stößt. Was sind Nikolais tatsächliche Absichten? Der Aufstieg in der Gangsterhierarchie durch bedingungslosen Gehorsam oder die Bestrafung Semyons für seine kriminellen Abscheulichkeiten, die im Laufe der Handlung ans Tageslicht gelangen? Loyalität oder Moral? Diese Plotstruktur erfreut sich im kantonesischen Actionkino schon seit Jahrzehnten großer Beliebtheit, von City on Fire (1987) über Hard Boiled (1992) bis hin zu Infernal Affairs (2002). Mit Departed: Unter Feinden nahm sich letztes Jahr das amerikanische Kino sehr erfolgreich dieses Motivs an. Doch wo all diese Filme ihre Konflikte geradezu ins Hysterische überspitzen, bleibt Tödliche Versprechen weitgehend kühl und distanziert. Es geht dem Film weniger um die Lösung des moralischen Dilemmas als vielmehr um die Unterdrückung seiner emotionalen Implikationen, und so hat der Film mehr gemein mit Der eiskalte Engel (1967) als mit seinen zeitgenössischen Genrekollegen. Was zählt, ist die Fassade, der stoische Gesichtsausdruck, der keinerlei Gefühlsregung zuläßt. Und was ist dahinter? Ist etwas dahinter? Das ist die zentrale Frage des Films.

»I'm already dead«, sagt Nikolai, als er fast nackt vor einem Komitee der Gangsterbosse zeremoniell in den Mafiaadel aufgenommen wird. Emotionale Indifferenz als Adelung, übersetzt in die sich anschließende rituelle Tätowierung, die ohne Ausdruck von Schmerz hingenommen wird. Hier sind wir wieder bei Cronenbergs ästhetischer Strategie angelangt. Der Körper erzählt die Geschichte. Gesichter bleiben geheimnisvoll, mehrdeutig und führen in die Irre. Tätowierungen dagegen sind sinnstiftend und identitätsprägend. In ihnen manifestiert sich die Integrität des Körpers. Eben diese stellt Cronenberg auf die Probe in einer der beeindruckendsten Kampfszenen der letzten Jahre. Die Nacktheit Nikolais ist dabei gleichzeitig Ausdruck von Verletzlichkeit und von purer, entfesselter Kraft. Je mehr Blut fließt, desto intensiver erleben wir die Körperlichkeit dieser Szene. Die Fassade wird verletzt, bleibt aber intakt, doch die Wunden sprechen Bände. Das ist die Essenz des organischen Kinos des David Cronenberg. 2007-12-15 14:31
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