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Chiko

D 2008. R,B: Özgür Yildirim. K: Matthias Bolliger. S: Sebastian Thümler. M: Darko Krezic. P: Corazón International. D: Denis Moschitto, Moritz Bleibtreu, Volkan Özcan, Fahri Yardim, Lucas Gregorowicz u.a.
92 Min. Falcom ab 17.4.08

Draußen vor der Stadt

Von Oliver Baumgarten Das Gangsterfilmgenre moderner Prägung hat unsterbliche Klassiker hervorgebracht. Brian de Palmas Scarface, Martin Scorseses Goodfellas und auch kürzlich David Cronenbergs Tödliche Versprechen zeichnen eine kompromißlose Welt, in der sich durch Skrupellosigkeit viel Geld mit Drogen, Waffen und Menschenhandel machen läßt. Der Ernst und vor allem die Härte, mit der diese Welten beschrieben werden, machten vergleichbare Genrebeiträge aus Deutschland lange Zeit undenkbar, zum einen, weil sich das deutsche Kino der letzten Jahre durch alles mögliche, nur nicht durch inhaltliche und formale Konsequenz ausgezeichnet hat, und zum anderen, weil sich ein solch hartes kriminelles Milieu eben nur schwer in die Konsumgewohnheiten der medialen Weichspülerwirklichkeit des deutschen Fernsehprogramms einpaßt, wo sich der Kriminalfilm hierzulande im wesentlichen abspielt.

Özgür Yildirim nun distanziert sich deutlich von dieser heimischen Krimitradition- und erschafft mit seinem Regiedebüt Chiko endlich einen bemerkenswert konsequenten deutschen Beitrag zum Gangsterfilmgenre. Yildirims Welt ist zwar, wie es das Genre verlangt, kräftig überzeichnet durch deutlich typisierte Figuren, durch ein funktionierendes Gut-Böse-Schema und durch ästhetisierte Gewalt- und Milieudarstellungen. Trotzdem aber hebt diese Welt erstaunlicherweise nicht ins Fantastische ab, sondern bleibt irgendwie beängstigend wahrscheinlich.

Chiko hängt mit seinem Kumpel Tibet in einer traurigen Hamburger Vorstadt ab, dort, wo ein Begriff wie »Zukunft« nur noch auf zerfledderten Werbeplakaten Positives auszustrahlen vermag. Gemeinsam verticken sie ein bißchen Haschisch und leben in den Tag hinein. Als sich plötzlich die Chance ergibt, für die Kiezgröße Brownie einen Job zu erledigen, greift Chiko zu und überredet Tibet, mitzumachen. Tibet allerdings unterschätzt den Ernst der Lage und zwackt sich Geld ab – eine Illoyalität, die Brownie mit äußerster Brutalität bestraft. Und während Chiko in der Hierarchie der Gangster schnell aufsteigt, lebt Tibet versteckt und kann seine Rachegefühle bald nicht mehr zügeln. Es kommt wie es kommen muß: Chiko wird sich entscheiden müssen zwischen altem Kumpel und neuem Geld.

Schon die Story von Chiko orientiert sich ganz offen an den Genreklassikern, und daß es Yildirim bis zum furiosen Schluß gelingt, die Ernsthaftigkeit dieser Geschichte sowie all ihrer Figuren keinen einzigen Moment, nicht eine Einstellung lang infrage zu stellen, diese Konsequenz sucht im deutschen Film wirklich ihresgleichen. Auch eine Figur wie Brownie mit seinen zwei Gesichtern, dem des kultivierten Familienvaters und des ultrabrutalen Gangsterbosses, von Moritz Bleibtreu in energiegeladenen und überzeugenden Szenen dargestellt, wirkt mit ihrer klaren Boshaftigkeit nie übertrieben oder unglaubwürdig. Özgür Yildirim hat es mit seinem Team ganz offensichtlich verstanden, den frechen und harten Ton seines Films bis zum Ende hin durchzuhalten. Und es verwundert kaum, daß Fatih Akin als Produzent des Films fungierte, hat doch gerade er mit kraftvollen, mutigen und konsequenten Filmen in den letzten Jahren international Erfolge feiern können. Milieu und Figuren, Sprache und Dialoge, Klischees und Settings, Drastik und Besetzung – in Chiko paßt tatsächlich alles zusammen, ohne daß es deshalb gleich wahr sein müßte.

Der tatsächlich wahre Kern von Chiko dürfte vielmehr im Detail stecken. Der bigotte Brownie, der seine Unmoral hinter scheinbarem Familienidyll verbirgt und der als personifizierte Versuchung mit dem großen Geld lockt, steht als der zentrale Antagonist des Films. Daß die tradierten Werte der Protagonisten – Freundschaft, Loyalität, Familie – am Ende an ihm zerbrechen, ist vielleicht das Bemerkenswerteste an Chiko und scheint auf eine potentielle Gefahr deuten zu wollen, die sich jeden Tag zusammenbraut, draußen in den Vorstädten. 2008-04-11 13:12

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