Red kein Sch’tis
Von Kerrin Devos
Daß die Franzosen Humor haben, ist außerhalb der Landesgrenzen von jeher umstritten. In Willkommen bei den Sch’tis geht es jedoch um ein Thema, über das fast jede Nation lachen kann: regionale Vorurteile. Ob man die Grenzen innerhalb eines Landes anhand von sprachlichen, kulinarischen oder meteorologischen Eigenheiten zieht, ist Auslegungssache – fest steht, daß Vorurteile das Salz in der Suppe einer jeden intrakulturellen Begegnung sind.
Dany Boon baut seiner Heimat, dem wenig bekannten Norden Frankreichs, ein würdiges Denkmal. Die Region Nord-Pas-de-Calais mit ihren stillgelegten Kohleminen und der höchsten Arbeitslosenquote Frankreichs hat, was das Ansehen in dem sonst so nationalstolzen Frankreich angeht, kaum Trümpfe in der Hand, und ist trotzdem natürlich viel, viel schöner als man gemeinhin annimmt.
Ein besonderes Merkmal der Region ist der charmant-schnodderige Dialekt »Ch’ti«. Für die deutsche Übersetzung des Films wurde eine Art Fantasiesprache entwickelt, die die phonetischen Besonderheiten und die damit verbundenen Verständnisschwierigkeiten zwischen Einheimischen und Zugereisten übertragen soll. Die Idee ist zwar nicht schlecht (und sicherlich um einiges besser, als den Dialekt durch irgendeine deutsche Mundart zu ersetzen), es ist aber naiv, zu glauben, daß sich eine Sprache einfach so erfinden läßt. Sprache ist mehr als nur ein beliebiges Kommunikationsmittel: Sie beeinflußt maßgeblich, wer wir sind, wie wir sind und mit Sicherheit auch, worüber wir lachen. Und obwohl vieles in diesem Film wirklich witzig ist – das als »Ch’ti« ausgegebene Babygebrabbel ist es nicht.
Daß so ein Film im eigenen Land ein Kassenschlager wird, ist eigentlich keine Überraschung. Er schmeichelt dem nationalen Ego, kritisiert weit unterhalb der Schmerzgrenze und ermöglicht Verbrüderung ohne Gesichtsverlust. In der Synchronisation beweist er aber ein ganz anderes Phänomen: nicht alles, was sich sagen läßt, kann man auch mit gleicher Wirkung übersetzen.
2008-10-27 11:10