Sonder-Klasse
Von Carsten Happe
Das ist der Film Die Klasse: ein Schuljahr in Paris. Eine siebte Klasse im 20. Arrondissement. Französischunterricht für die Multi-Kulti-Schüler im sozialen Brennpunkt. Der engagierte Lehrer François, der keinen Schüler aufgibt. Dazwischen Lehrerkonferenzen, ein Elternsprechtag. Am Ende des Schuljahrs die Vorfreude auf die großen Ferien. Einige haben etwas gelernt, manche nicht. Nach dem Sommer wird es so oder ähnlich weitergehen.
Wem das zu wenig ist, der kann hier aufhören zu lesen und sich den Film natürlich schenken. Er hat keinen durchgehenden Spannungsbogen, zeigt kein Privatleben, bleibt stets zwischen den Schulmauern, auf Augenhöhe mit der Klasse. Bei den Problemschülern, die einfach ihre Zeit in der Schule absitzen und sich durch den Vormittag langweilen, bei denen, die François ein wenig aus ihrer Lethargie reißen kann, und denen, die ohnehin alles besser wissen. Man wird alleingelassen mit François und dieser Klasse, mit drei Kameras, die unablässig auf den Lehrer, die Schüler und Details gerichtet sind, und irgendwann beginnt man sich unweigerlich dafür zu interessieren, weshalb Souleymane den coolen Rebellen markiert, wieso Esmeralda gegen den Grammatikunterricht wettert. Und natürlich, ob François in dem scheinbar aussichtslosen Kampf gegen die Wissensverweigerer zumindest Teilerfolge verbuchen kann.
Daß der Film darauf keine klaren Antworten zu geben vermag, ist noch eine seiner kleineren Stärken; vielmehr erreicht er durch seine unaufgeregte, schnörkellose Inszenierung eine bemerkenswerte Unmittelbarkeit und Nähe zu den Figuren. Es ist kaum noch zu unterscheiden, ob Die Klasse mehr fiktionale oder mehr dokumentarische Anteile enthält – der Lehrer François spielt sich quasi selbst, das Drehbuch entstand nach seinem autobiographischen Roman, die Eltern der Laiendarsteller, die die Schüler spielen, sind am Sprechtag auch als ihre echten Eltern zu sehen, und hätten Bauarbeiten es nicht verhindert, wäre der Film auch an der realen Françoise-Dolto-Schule gedreht worden.
Nicht weniger als die Goldene Palme war es der Cannes-Jury im vergangenen Jahr wert, für einen Film, in dem kaum etwas passiert und doch sehr viel. Der sein sozialkritisches Anliegen nicht vor sich her trägt, sondern in leisen, fast unscheinbaren Momenten sogar ein wenig Hoffnung verströmt für die Banlieues, für Rütlischulen und auch alle anderen. Kleines, großes Kino.
2009-01-14 12:05