Schöner Schein der Leidenschaft
Von Tamara Danicic
Ja, sie ist noch immer schön. Und es braucht bei Michelle Pfeiffer auch den Zusatz »für ihr Alter« nicht. Man nimmt ihr sofort ab, daß sie als Edelkurtisane immer noch den Reichen und Mächtigen Europas spielend den Kopf verdrehen kann. Zwar mußte so eine Liebesdienerin der Luxusklasse zweifellos noch etwas mehr im Repertoire haben als nur eine wohlgestaltete Fassade, aber die mußte eben nun mal auch sein (angesichts von Pfeiffers natürlichem Liebreiz fragt man sich, warum Stephen Frears glaubt, seiner Heldin lauter aus dem Leim gegangene oder fast schon grotesk häßliche ehemalige Kolleginnen an die Seite stellen zu müssen – auf so eine Art von Schützenhilfe hätte sie definitiv verzichten können).
Vermutlich weiß auch Michelle Pfeiffer, ebenso wie ihre Figur Léa de Lonval, daß Schönheit nicht ewig währt. Genau das macht diese ja so kostbar. Doch mit dem schönen Schein allein ist es, wie gesagt, nicht getan. Die hübsch anzusehende, üppige Ausstattung von Chéri verführt zum Schwelgen, entpuppt sich letztlich aber nur als Blendwerk. Nach dem Rokoko in Gefährliche Liebschaften malt Stephen Frears nun ein Sittengemälde der Belle Epoque. Es soll um die versuchte Zähmung einer Amour fou gehen, um große Gefühle vor edler Tapisserie. Die klingenscharfen Zungen der Kurtisanen gehören ebenso dazu wie das oberste Gebot der Contenance.
Basierend auf einem Roman der skandalumwitterten Französin Colette hechelt die Handlung von der entscheidenden Begegnung zwischen erfahrener Geliebter und blutjungem Liebhaber durch die Höhen und Tiefen ihrer Beziehung bis zum großen Bruch. Alles wirkt merkwürdig atemlos. Nicht nur, daß allzu viele Szenen auf ihre Kerninformation hin verdichtet werden. Zusätzlich greift auch noch eine Erzählerstimme aus dem Off immer wieder raffend oder deutend ein – mag sie sich auch noch so geistreich geben. Zum Verweilen, Entdecken oder einfach nur mit den Augen durchs Bild Flanieren bleibt dem Zuschauer kaum Zeit. Und auch die Musik von Alexandre Desplat wirkt wie infiziert von diesem chronischen Vorwärtseilen. Damit bleibt jedoch die einmalige, rauschartige Liebe weitgehend Behauptung. Erster Kuß, gemeinsame Sommerfrische, Sex. Dann »sechs Jahre später«: liebevolle verbale Balgereien, geteilter Alltag. Dann: Entzweiung durch Chéris Geldheirat, unerfüllte Zweisamkeit mit neuen Partnern, unstillbare Sehnsucht… So in etwa ließe sich die Geschichte von Chéri daumenkinoartig nacherzählen. Das innere Ringen der beiden Protagonisten um ein emotionales Gleichgewicht hingegen bleibt meist in kurz aufblitzenden Andeutungen stecken. Was man am Ende sehen soll, ist eine von der Liebe gebrochene Frau. Die Frage ist nur, ob man das tatsächlich auch sieht.
2009-08-20 13:36