Der erste Übermensch
Von Ekaterina Vassilieva
Als Hanna und Simon im Kinosaal miteinander tuscheln, werden sie von einem jüngeren Besucher zur Ruhe ermahnt und herabwürdigend als »Oma und Opa« angesprochen. Dabei sind die beiden noch nicht mal Eltern geworden. Es sieht aber auch nicht so aus, als könnte sich das ändern: Trotz Einstellen der Verhütung vor Jahren, wird Hanna nicht schwanger. Und eine Operation an den Hoden, der sich Simon prompt unterziehen muß, droht das ohnehin eingeschlafene Liebesleben vollends zum Erliegen zu bringen. Aber gerade in dieser Situation wird das Zeugen und Gebären zum großen Thema, denn man will nicht nur vielleicht doch noch Kinder bekommen, sondern vor allem sich selbst zur Neugeburt verhelfen. Und wer könnte dabei besser behilflich sein als der Fachmann für künstliche Befruchtung und Stammzellenforschung Adam Born, der – wie auch der sprechende Name verrät – an der Quelle des Lebens sitzt?
Zunächst begegnet ihm Hanna allerdings nicht als Hilfesuchende, sondern in ihrer Funktion als Mitglied des Ethikrats von einem kritischen Standpunkt aus. Doch sie muß feststellen, daß Adam nicht nur mit sachlichen Argumenten überzeugt: Seine bloße Präsenz wirkt entwaffnend und löst ganz nebenbei die erfrischendsten Sexfantasien aus.
Das Faszinierende und gleichzeitig das Mysteriöse an Adam ist seine fast übermenschlich anmutende Vielseitigkeit und die daraus resultierende Allgegenwärtigkeit. Er interessiert sich für Theater, spielt Fußball, singt im Chor, macht Judo und ist grundsätzlich für jede kulturelle oder sportliche Aktivität zu haben. Deshalb wirkt es auch nicht aufgesetzt, wenn das Drehbuch ihn mehrmals durch Zufall auf die Protagonisten zuführt. Ein einziges Leben ist ihm fast zu wenig. Er fühlt sich gleich wohl in der Junggesellenwohnung einer Berliner Edelplatte und im idyllischen Einfamilienhaus seiner ehemaligen Familie. In dieser Universalität liegt auch der Schlüssel zu seinem »unethischen« Benehmen, denn wer die ganze Daseinsfülle erfassen will, ist notwendigerweise zu moralischen Zugeständnissen gezwungen: Die Liebschaften, die Adam leichtfertig sowohl mit Männern als auch mit Frauen eingeht, prädestinieren ihn nicht gerade zur Monogamie. Er möchte sich nicht festlegen, keiner Definition unterwerfen und empfiehlt Simon, den er unabhängig von Hanna ebenfalls zu seinem Liebhaber macht, auf die festgefahrenen Kategorisierungen zu verzichten.
Doch hinter diesem Erlebnisreichtum offenbart sich eine seltsame Leere. Wie Hanna es formuliert: »Du hast irgendwie nichts«, womit seine spärlich eingerichtete Wohnung gemeint ist, die nicht mal Bücherregale aufweist. Aber Adam ist auch ein Mann ohne Innenleben: Alles spielt sich bei ihm auf der Oberfläche ab, denn Selbstreflexion oder Skrupel würden seine Tatkraft hemmen, und das will und kann er sich nicht leisten. So ist die Flirt- bzw. Werbungsphase bei Adam und seinen Partnern extrem verkürzt bzw. überhaupt nicht gegeben, was, wenn auch moralisch unbedenklich, das Geheimnisvolle und Zaghafte aus der Beziehung weitgehend verbannt. Die Liebschaften unterscheiden sich kaum von Freundschaften, sind aber dadurch besonders unproblematisch und erfüllend.
Der neue Adam hat vom Baum der Erkenntnis nicht nur gekostet, sondern gerade genug gegessen, um selbst zu Gott zu werden. Deshalb kann ihn auch keiner mehr aus dem Paradies vertreiben: Scham kennt er sowieso nicht, und in das Geheimnis des Lebens ist er dank der von ihm betriebenen Embryonalforschung bestens eingeweiht. So wird Tom Tykwers Drei zu einer Utopie über eine sich selbst erzeugende, von metaphysischen Schranken befreite Existenz, die sich vor niemandem verantworten muß und sogar den Tod durch die fachgerechte Weiterverwendung der sterblichen Überreste in der Körperwelten-Ausstellung überdauern kann.
2010-12-17 10:29