Familien im Brennpunkt
Von Alexander Scholz
Am Ende hat das Kind wieder sicheren Grund unter seinen Füßen. In der finalen Parallelmontage von
Poliezei wird dieses Bild des Behütetseins, der aufgefangene Fall, antithetisch an den suizidalen Sturz einer Polizeibeamtin aus ihrem Büro montiert. Der vermeintlich Starke opfert sich auf, um den Schwachen zu schützen. Regisseurin Maïwenn bricht hier mit ihrem extradiegetisch formulierten Anspruch auf Authentizität zugunsten einer pathetischen Metapher. Dabei kann von der Heroisierung ihrer Charaktere bis zu diesem Zeitpunkt kaum die Rede sein. Die Beamten auf dem Pariser Polizeiderzernat, das sich zuvörderst um die Belange von Kindern kümmert – hier hat übrigens der kindlich falsch geschriebene Titel des Films seinen Ursprung – werden vielmehr als durchschnittliche Menschen mit all ihren Schwächen portraitiert. Damit aber nicht genug. Am weitesten vom idealisierenden Überschwang des Schlusses entfernt sich
Poliezei, wenn die authentische Darstellung psychischer und emotionaler Entkräftung umschlägt in ein Portrait der offensichtlichen Dummheit der Protagonisten. Selbstredend handelt es sich hier um einen schmalen Grat. Der hysterische Humor, mit dem einige Beamte auf den sich ihnen bietenden Schrecken antworten, konfrontiert den Zuschauer mit beunruhigenden, emotionalen Abwehrreaktionen. Daß dabei jedoch zum Teil der Eindruck entsteht, dieser Schrecken würde von den handelnden Charakteren weder reflektiert noch besonders ernstgenommen, ist nur akzidentiell einer mangelhaften Figuren- bzw. Stereotypenzeichnung anzulasten. Vielmehr erscheint es evident, daß von den dramatis personae in einem Film, der seinem Sujet so indifferent gegenübersteht, keine großen Reflexionsleistungen zu erwarten sind.
Anders als in dem thematisch und inszenatorisch durchaus vergleichbaren
Die Klasse, der 2008 in Cannes mit der Palme d’Or ausgezeichnet wurde, gelingt es dem diesjährigen Gewinner des Jurypreises nicht, die Komplexität realer Probleme in authentischen Bildern zu fixieren. Helfen die Beamten, ein Romalager zu räumen und die Kinder von ihren Eltern zu trennen, wird dieser Abschied zunächst tränenreich inszeniert. Während ihres Abtransports feiern die Kinder jedoch bereits ausgelassen und tanzender Weise gemeinsam mit den Polizisten ihre neu gewonnene Freiheit. In Szenen wie diesen ist es eben nicht die Realität, sondern ihre naiv bornierte Reduktion, die schmerzt. Begleitet wird die Gruppe der Ordnungshüter bei solch skurrilen Aktivitäten von einer Fotographin, die im Auftrag des Ministeriums einige authentische Aufnahmen von der praktischen Umsetzung politischer Entscheidungen machen soll. Während Maïwenn diese Figur, mit deren Hilfe der fragmentarische Stil von
Poliezei durch eine halbseidene Liebesgeschichte aufgebrochen wird, selbst spielt, vergibt sie als Regisseurin die Möglichkeit, das offensichtliche Potential dieser Figur auszuschöpfen. Vor und hinter der Kamera hat sie somit großen Anteil daran, daß dieser ambitionierte Film zuweilen manch pseudodokumentarischen TV-Formaten erschreckend ähnlich sieht.
2011-10-24 15:37