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Udo Kier

#43 ¦ 03.2006

Mit Beiträgen von Hans-Christoph Blumenberg, Hans Schifferle, Anke Leweke, Christoph Schlingensief, Sascha Seiler und einem Gespräch zwischen Udo Kier und Dietrich Kuhlbrodt.
Dandy, Ikone, Kultfigur und Schauspieler Udo Kier

High Noon mit Udo Kier

Von Anke Leweke Kier bleibt Kier, ob als gewohnter Betriebsbösewicht, narzißtischer Schöngeist, kölscher Junge, schwuler Intellektueller oder spießiger Kleinstadtfriseur. Fassbinder brachte immer neue Facetten an ihm zum Vorschein, Lars von Trier spielte in acht Filmen mit seinem diabolischen Trash-Image, Wim Wenders reflektierte die natürlich künstliche Kinokreatur.

Es hat seine Richtigkeit, daß am Ende von Lars von Triers Breaking the Waves die dunklen Mächte mit ihm zum Zuge kommen. Dieser Schauspieler hat so viele Mörder, Sadisten und Teufel gespielt, daß er das Zeichenrepertoire des Bösen mit wunderbar perfider Lässigkeit abrufen kann.

Lars von Trier

Udo Kier braucht nur ein bißchen mit dem Messer zu fummeln, den Blick zu heben, uns mit seinen stechenden Eisaugen zu fixieren – und fertig ist der Bösewicht. Zunächst wirken die archetypischen Bilder des Horrors und des Grauens, die Udo Kier bei Lars von Trier immer wieder zitiert, wie Fremdkörper in dessen theologisch-moralischen Versuchsanordnungen. Und doch ist es durchaus logisch, daß sich der dänische Diskurs-Regisseur ausgerechnet diesen deutschen Schauspieler als Maskottchen auserkoren hat. Udo Kier kann man, wie etwa in Riget, Hörner wachsen lassen, ohne daß er dabei lächerlich wirkt. Denn bei ihm ist der Part des Monsters stets auch eine Stilfrage. Ob als perverser Priester, demagogischer Doktor, Baron Frankenstein oder teutonischer Graf Dracula – Udo Kier hat sich im Laufe seiner wilden Filmographie selbst zur diabolischen Kunstfigur erklärt und vermochte diese Rollen als Betriebsbösewicht zu kultivieren. Noch dem trashigsten Fiesling verleiht er Eleganz und Würde. Wenn er, wie so oft gut gekleidet die Szene betritt, gewinnt man den Eindruck, daß er sich wie nebenbei, sozusagen mit gespreiztem kleinen Finger, dem Bösen nähert. Aus dieser Mischung von Distanz und einer Spielfreude, die sich für nichts zu schade ist, entsteht seine Markanz. Er steht neben den Rollen und ist trotzdem authentisch. Anders gesagt: Udo Kier ist das Böse ist Udo Kier.
Im Theater müsse man spielen, im Kino hingegen einfach sein, so faßt Kier seine Berufsauffassung zusammen. Dieses Sein wußte Lars von Trier in bisher acht Filmen für sich zu nutzen und zu deklinieren. In Epidemic zum Beispiel darf Udo Kier ganz einfach er selbst sein: ein hemmungsloser Selbstdarsteller und narzißtischer Schöngeist mit Gemälden über dem heimischen Sofa. Aber auch ein kölscher Junge, der über den Tod der Mutter trauert. Der in einem anrührenden Monolog aus ihrem Leben erzählt und von seiner Geburt während eines britischen Bombenangriffes auf die Domstadt. In Europa wiederum darf Udo Kier der müde, schwule Intellektuelle sein, der näselnd philosophische Weisheiten über die deutsche Seele und amerikanische Kriegstaktiken vorträgt.
Stets machen sich Lars von Trier und Kier einen höllischen Spaß daraus, die Trash-, B- und Kultmovie-Filmographie des Schauspielers auszuschlachten, auf die Spitze zu treiben und dabei zugleich den von Trierschen Katholizismus zu verballhornen. Etwa mit einer der ungeheuerlichsten Geburten der Filmgeschichte, wenn in Riget zwischen den Beinen der Gebärenden plötzlich Kiers blutverschmierter Kopf zum Vorschein kommt. Als eine Art Karikatur von Jesus am Kreuz wird sein Monsterbalg mit Versorgungsschläuchen ans Krankenhausbett gefesselt. In von Triers durchgedrehter Krankenhausserie spielt er die Satansbrut mit guter Seele, ein rührend monströses Baby, das sich für die Menschheit opfern wird.
Auch in Breaking the Waves unterwandert er in der Rolle des »Sadistic Sailor« den hartnäckigen Neo-Katholizismus seines Regisseurs und nimmt dem Liebesmelodram wenigstens einen Teil seines religiösen Pathos‘. Wenn sich die tiefgläubige Bess in die Arme dieses durchtriebenen Klischee-Seemanns wirft, wenn ihre metaphysische Reinheit von lüsternen Augen betrachtet wird, dann schleicht sich in den großen Diskurs von Opfer, Heiliger und Märtyrerin eine angenehme Kinokünstlichkeit. Das Gute wird bei von Trier in der Schlußszene mit himmlischen Glocken überzeichnet. Die Überhöhung des Bösen übernimmt Udo Kier.
Immer wieder sorgt Kiers Bösewichter-Filmographie für einen natürlichen Suspense-Effekt. So ahnt der Zuschauer gleich zu Beginn von Manderlay, daß das halbautomatische Maschinengewehr, das Udo Kier als Borsalino-Gangster mit sich trägt, irgendwann zum Einsatz kommt. Mithilfe von Kier und seiner Waffe will die Ganoventochter Grace den ehemaligen Sklaven einer Baumwollfarm die Demokratie beibringen – in einem Akt der Gewalt und Unterdrückung, der letztlich nur die Sklavenzeit verlängert. Der Regisseur, der stets das Gute sucht und doch das Böse schafft, hat in diesem Schauspieler einen Weggefährten gefunden, der die hehren Prinzipien seiner Heldinnen mit minimalem Aufwand zunichte macht.
Ein einziges Mal durfte Udo Kier bei Lars von Trier einfach nur Schauspieler sein und eine große Rolle spielen, ohne auf sein Stereotypenreservoir zurückzugreifen. In dem Fernsehfilm Medea nach einem Drehbuch von von Triers erklärtem Vorbild Carl Theodor Dreyer spielt er König Jason. Tatsächlich verschwindet Udo Kier hier im Part des virilen Herrschers, der seine Frau mit tragischen Folgen betrügt. Seit fast zwanzig Jahren arbeitet Kier nun mit Lars von Trier zusammen. Seit 1991 sitzen die beiden an einem gemeinsamen Langzeitprojekt – ohne Drehbuch oder übergreifende Idee. Jedes Jahr zu Weihnachten sollen bis 2024 drei Minuten Film gedreht werden, ohne daß einer der Beteiligten den Ausgang kennt, mehr will das Gespann nicht verraten.

Rainer Werner Fassbinder

Von Trier, Schlingensief, die Factory um Andy Warhol und Rainer Werner Fassbinder – Udo Kier hat viele Filmfamilien. Wenn er bei Fassbinder nicht vor der Kamera stand, betätigte er sich als Ausstatter. Natürlich bleibt Udo Kier auch bei diesem Regisseur Udo Kier. Und damit sich selbst treu. Und doch brachte Fassbinder ganz neue Facetten des Kier-Seins zum Vorschein. In Bolwieser gibt Kier im weißen Kittel den typischen deutschen Kleinstadtfriseur mit ganz und gar spießigen Träumen. Doch das Klischeebild wird hier mit einer ganz ursprünglichen Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit versehen. In Lili Marleen wiederum blickt Fassbinder hinter die grimmige Fassade des Schauspielers. Furchteinflößend sieht Kier mit seinem schweren Ledermantel aus, mit starken Gesichtsverbrennungen und einer schweren Verletzung an der Hand, die er mit einem schwarzen Handschuh kaschiert. Auch wenn die Zeichen anderes erzählen, ist Kier hier kein Nazi, sondern ein Widerstandskämpfer. Und vor allem: ein Kämpfer für die wahre und große Liebe. Zunächst mißtraut er der deutschen Sängerin, gespielt von Hanna Schygulla, weil sie sich von den braunen Parteibonzen feiern und aushalten läßt. Doch dann verhilft er ihr zu heimlichen Treffen mit dem jüdischen Geliebten. Als Liebesbotschafter wirkt Kier ungewohnt zart und verletzlich. Gott sei Dank bewahrt er sich aber auch in solchen Rollen seinen Hang zum Trash, zur Stilisierung.
Natürlich gehört ihm die Szene, in der während eines Bombenangriffs das Bild des Führers mit großem Getöse von der Wand fällt. In solchen Augenblicken gelingt es Kier, aus einem Film herauszutreten und aus seinem Auftritt einen eigenständigen Kurzfilm zu machen.

Gus van Sant

Auch bei dem amerikanischen Autorenfilmer Gus van Sant nutzt er seine wenigen Szenen als Laufsteg für wunderbare Selbstdarstellungen und -ironisierungen. Wenn er denn schon wieder den schwulen Exzentriker spielen muß, dann wenigstens formvollendet. So macht er den deutschen Freier Hans in My Own Private Idaho zum gezierten Wesen, das die Dorian Grays und Gustav Aschenbachs dieser Welt in einer Person vereint. Gleichzeitig gönnt er dieser Kunstfigur auch echte Gefühle, wenn er in einem denkwürdigen Moment für River Phoenix und Keanu Reeves das melancholische Lied »Mr. Klein« singt. In einem anderen Gus van Sant-Film gelingt es Udo Kier sogar, sein Repertoire mit neuen Fieslingsfacetten zu erweitern. Etwa in Even Cowgirls get the Blues, in dem er einen aggressiven Werbefilmer spielt, der mit unangenehm patriarchalischem Gebaren eine Lesbenkommune aufmischt.

Wim Wenders

Im Laufe der etwa 160 Filme haben sich die Rollen und Nebenrollen des Udo Kier zu einem einzigen Gesamtkunstwerk zusammengesetzt: Udo Kier. Und natürlich braucht solch ein Werk auch Selbstreflexion. In Am Ende der Gewalt spielt Udo Kier das Alter Ego von Wim Wenders. Einen Regisseur, der in den Kulissen von Edward Hoppers »Nighthawks« einen Film dreht. Immer wieder werden die Dreharbeiten unterbrochen und schließlich ganz gekippt. Resigniert und müde, aber auch abgeklärt blickt der Regisseur in die Kamera und sagt: »Warum bin ich nicht in Europa geblieben?« Womöglich würde Kiers Antwort anders ausfallen als die des Regisseurs Wim Wenders. Und wahrscheinlich wäre er in Europa nie die Kinokreatur geworden, die europäisches Dandytum und Vampirzähne, Trash und Kultiviertheit, Sadismus und Sehnsucht, Hollywood und Autorenkino mit einer derart natürlichen Künstlichkeit verbindet. 2006-07-11 12:06

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