Das Kind im Mann
Von Oliver Baumgarten
Christoph Hochhäuslers Erstlingsfilm
Milchwald betreten die beiden Protagonisten, indem sie eine lange, einsame Straße entlangschlendern, immer auf die Kamera zu. Nach 90 Minuten, in der letzten Einstellung, verschwinden sie wieder aus dem Film, erneut einer Straße folgend, weg von der Kamera, weg von uns. Wie auf Besuch.
In der ersten Einstellung von
Falscher Bekenner besucht uns Armin. Es ist Nacht, auf der finsteren Straße nähert er sich denkbar langsam der Kamera und damit auch einem verunfallten Wagen, der kokelnd die Straße blockiert. Armin bleibt stehen und blickt auf den blutenden, regungslosen Fahrer. Gerade schockiert ist er nicht, eher teilnahmslos und auf eine fast provokante Art begriffsstutzig. Schon hier möchte man ihn kräftig durchschütteln, jenen Armin, der, so bemerkt seine Mutter einmal etwas vorwurfsvoll, der seinen Vorteil, nicht zur Bundeswehr zu müssen, beinahe schon verspielt habe. Armin ist auf Karnickelschein befreit, ist dritter Sohn der Familie, eine Tatsache, die ihm ganz besonders zusetzt. Während seine beiden älteren Brüder sich offenbar bestens in ihrem Erwachsenenleben zurechtfinden, sitzt Armin in seinem alten Kinderzimmer, tippt lustlos wie ungeschickt Bewerbungen und tagträumt von schwulem Sex mit Lederkerlen. Irgendwas in ihm ärgert sich darüber, doch Armin tut rein gar nichts, um seine Situation zu verändern.
Das Kind in ihm bricht immer wieder durch, und es ist ein ausgesprochener Rotzlöffel, der aus einer Mischung aus Langeweile und Renitenz hier mal triumphierend ins Badewasser strullt, sich dort mal bückt, die Lenkstange des Unfallwagens einsteckt und einen Tag später ein Bekennerschreiben formuliert, das den Unfall als Attentat erscheinen lassen will. Offenbar glaubt man dem Schreiben, Berichte in Zeitung und Lokalfernsehen bescheinigen Armin eine derart starke Auswirkung, wie sie noch keine seiner Handlungen jemals hervorzurufen vermochte. In der Familie hat er nichts zu melden, bei der attraktiven Katja erst recht nicht, und die Bewerbungsgespräche laufen auch alles andere als rund. Und so strebt Armin die Karriere eines »Falschen Bekenners« an, die Weiterbildung zum Bekenner nicht ausgeschlossen.
Christoph Hochhäusler findet in seinem zweiten Film das perfekte Tempo, um die Figur des Außenseiters Armin sich entwickeln zu lassen. Die empfundene Langsamkeit in der Erzählung und in den Kamerabewegungen entspricht Armins Wahrnehmung, sie erfüllt damit einen über den Selbstzweck hinausgehenden dramaturgischen Sinn – ein ästhetischer Mehrwert also, der bei den deutschen Filmen der letzten Jahre, die sich dem Trend der Langsamkeit anschlossen, nicht immer selbstverständlich war. Hochhäusler ist, auch wenn sich das nicht auf den allerersten Blick erschließen mag, ein ausgezeichneter Erzähler. Seine Bildsprache ist klar, ohne simpel zu sein, seine Lust, mit Bildern zu erzählen, ist jederzeit spürbar und kulminiert in solch schönen Momenten wie dem Kaffeeklatsch der großen Familie oder dem Bewerbungstraining, die jeweils mit perfektem Verhältnis von Leerstelle und Information auskommen.
Mit der glaubwürdigen Darstellung von Armin steht und fällt Hochhäuslers Konzept, und Constantin von Jascheroff gelingt seine Figur in perfider Mischung aus irgendwie tumber und doch renitenter Spätpubertät und lustlosem Mitläufertum ganz großartig. Obwohl von Jascherow schon seit Kindertagen vor der Kamera steht, schafft es Hochhäusler, ihm eine entwaffnende Natürlichkeit zu entlocken, die gerade im Zusammenspiel mit Devid Striesow und Florian Panzner (als Armins Brüder) ihre ganze Überzeugung erlangt.
Arbeitslosigkeit, Isolation, der Mangel an Zielen, Motivation und Selbstwertgefühl:
Falscher Bekenner berührt eine ganze Reihe von Themen, die die heutige deutsche Gesellschaft in einen grundlegenden Wandel stürzen. Und dennoch ist Hochhäuslers Film keineswegs eine Blaupause der Wirklichkeit, einer dieser Filme, die behaupten, zur Gänze authentisch zu sein.
Falscher Bekenner verhehlt seinen fiktionalen Charakter nicht. Und wenn Armin uns auf der Rückbank eines Autos wieder verläßt, schenkt er uns sogar ein Lächeln. Zum ersten Mal.
1970-01-01 01:00