Die Ohnmacht im Angesicht des Blitzes
Von Tamara Danicic
Andreas Dresen, so ist man sich einig, liebt »die kleinen Leute«. Auch Inge und ihr Mann Werner gehören zu ihnen. Sie bietet ihre Dienste als Schneiderin auf Abreißzetteln in der Kaufhalle an, er lauscht geradezu andächtig Schallplatten mit den Geräuschen irgendwelcher Züge, die durch irgendwelche Bahnhöfe fahren. Und manchmal begleitet er sie zu den Aufführungen ihres Alte-Damen-Chors. Inges und Werners Wohnung ist so eingerichtet, wie man es für ein Paar ihres Alters und ihres Milieus erwartet: Brauntöne überwiegen, die vor Jahrzehnten angeschafften Möbel sind funktional und nicht mehr.
Alles normal also. Auch die Tatsache, daß Inge und Werner noch Sex miteinander haben. Genauso wie Inge und Karl. Die faltigen Körper der Mittsechzigerin und ihres 76jährigen Geliebten haben in ihrer Behäbigkeit und nachlassenden Biegsamkeit etwas Rührendes. Angesichts des verklemmten Verhältnisses unserer Gesellschaft zum Thema »Senioren und Sexualität« ist die Normalität, mit der Dresen die Kommunikation zwischen den welken Körpern inszeniert, zweifellos verdienstvoll. Die lustvolle schnelle Nummer auf dem Sofa gehört hier ebenso selbstverständlich dazu wie Inges Selbstbefriedigung in der Badewanne oder ihre Knutscherei mit Karl im Auto. Und er hat dafür ohne Frage wunderbare Schauspieler gefunden, die er trotz aller physischer Nacktheit nie dem Voyeurismus preisgibt.
Wäre da nur nicht diese orchestrierte Betulichkeit, die Dresens Filme eben auch immer wieder kennzeichnet. Keiner will irgendjemandem wehtun. Schließlich hat Inge Werner erklärtermaßen noch gern, aber eben nicht mehr ganz so gern wie Karl. Die Liebe scheint wie ein Blitz über sie gekommen zu sein, und gegen Blitze kann man sich bekanntlich schlecht wehren. Indem Dresens Heldin sich auf diese Weise weitgehend ihrer Verantwortung entziehen kann, tut der Regisseur ihr wie auch den anderen Figuren, die er permanent zu schützen und ja nicht preiszugeben versucht, aber nur bedingt einen Gefallen. Schließlich spricht er ihnen damit schlicht und ergreifend Handlungsmächtigkeit bzw. Liebes- und Konfliktfähigkeit ab. Zuviel Liebe tut nicht immer gut.
2008-07-07 15:34