— — —   DER SCHNITT IST OFFLINE   — — —

Kontaktabzüge

Contacts. F 2002. R,B: William Klein u.a. P: arte France.
429 Min. absolut Medien ab 29.8.08

Sp: Deutsch (DD 2.0), Englisch (DD 2.0), Französisch (DD 2.0). Ut: Keine. Bf: 1.33:1 anamorph. Ex: Keine.

Kontakte/Abzüge

Von Natália Wiedmann Abgefilmte Reihen abgezogener Negativstreifen, meist von links nach rechts gezeigt, sknil hcan sthcer nov lamhcnam, einFließeneinBilderstrom, dann: Bild. Für Bild. Für Bild. Bei Depardon rauschen nicht allein Bilder, sondern auch seine Worte, Überlegungen, poetische, philosophische Gedanken vorbei, kleine Geschichten, keine Be-schreibungen der Bilder, keine Be-bilderung des Gesagten, frei flottierende Ströme, der Rezipient verknüpft, ordnet, wählt aus – eine Lektion bezüglich Text-Bild-Relationen, gelungen. Man ist gefesselt, vom Beitrag, vom Fotographen. Daneben eine Reihe konventioneller Beiträge, als wolle man ein fotographisches Prinzip reproduzieren, die Idee als beliebig vervielfältigbares Negativ gebrauchen. Dafür Abzüge. 33 Filme von etwa 13 Minuten Länge (manchmal recht langen 13 Minuten), in denen Fotographen ihre Bilder und Arbeitsweisen selbst kommentieren, wie auf der DVD-Box zu lesen ist, »von den Meistern der Fotoreportage zu den Hauptvertretern der zeitgenössischen Fotokunst«, zwischen 1988 und 2004 entstanden und ausgestrahlt, unter Beteiligung von insgesamt 16 Regisseuren.

Die erste DVD, »Die große Tradition der Fotoreportage«, umfaßt Filme aus dem Zeitraum von 1989 bis 1994, darunter auch William Kleins Dokumentation zu sich selbst. Er lieferte das Konzept der Reihe, sein Beitrag ist demgemäß selbigem verschrieben. Beginnend mit allgemeinen Überlegungen zu Kontaktabzügen, die Klein als das Tagebuch der Fotographen betrachtet, leitet er über zur Frage, die seine Kommentierung und die der meisten anderen Fotographen in der ersten Zusammenstellung bestimmt: Warum macht man ein Foto und nicht ein anderes? Und nach welchen Kriterien wählt man später ein bestimmtes aus? Klein geht die Reihen der Kontaktabzüge durch, erzählt von dem Tag, an dem die Fotos entstanden, warum er sich für eines entschied, nur bei manchen Bildern sagt er: Das ist ein Foto. Manchmal ist es nur beinahe ein Foto. Fragen nach dem Prinzip der Selektion sind der rote Faden, der sich durch die ersten zwölf Beiträge zieht: Nein, nein, ja, nein, fast gut, das »richtige« Bild. Die Suche nach diesem Bild, das Hoffen auf den Zufall, der dem Foto das Besondere gibt, genau im richtigen Moment auf den Auslöser drücken, keine Sekunde zu spät, genau den Moment erhaschen, in dem die Komposition perfekt ist. Eine gute Bildkomposition, fast könnte man glauben, die Kriterien für ein gutes Foto seien diesem immanent, seien aus Regeln abzuleiten, objektiv. Robert Delpire blättert durch die Kontaktabzüge Koudelkas und vergleicht es damit, durch den Blick des Fotographen selbst zu blättern: Was hat er markiert, was nicht? Kontaktabzüge zu zeigen bedeutet damit, sich ein Bild davon zu machen, welche Vorstellung der jeweilige Fotograph vom guten Foto hat und verweist so auf die hochgradige Subjektivität scheinbar objektiver Kriterien.

Immer mehr bröckelt die Fiktion der Objektivität, und so ist es nur folgerichtig, daß jene Fotographen, die dem »Aufbruch der zeitgenössischen Fotographie« zugeordnet werden, immer weniger über die Fotos sprechen und mehr über sich selbst. Schließlich läßt sich das französische »contacts« nicht nur mit »Kontaktabzüge« übersetzen, sondern ebenso mit »Kontakte«, und so werden letztere immer wichtiger: Die ersten Kontakte zu den Künstlern, zu ihren Bildern, ein erster Einblick in ihre Biographie, in ihre »persönlichen Manifeste« – so bezeichnet Araki die eigene Arbeit. Und doch scheinen die Fotographien »dokumentarischer« zu werden, nicht in dem Sinne, daß sie weiter den Anspruch auf Realitätswiedergabe erheben, aber insofern, als der Bildinhalt teilweise an Bedeutung verliert, das Foto seinen Wert gewinnt, indem es ein bestimmtes Projekt, eine bestimmte Idee, das Künstlerdasein dokumentiert. Sophie Calle beschattet einen fremden Mann, reist ihm sogar nach, fotographiert, was er fotographiert, läßt sich anschließend selbst verfolgen – diese Hintergrundgeschichte ist es, die fasziniert, nicht unbedingt die Bilder allein. Aber auch die Frage nach dem perfekten Foto taucht wieder auf, in veränderter Form allerdings: Digitale Technik und Inszenierungen halten Einzug, der Zufall verliert an Bedeutung, auf Bilder wird nicht mehr gewartet, sie werden präzise geplant, von Konzepten organisiert. Folgerichtig also auch, daß Kontaktabzüge immer seltener zu sehen sind.

Die Veränderungen in der fotographischen Arbeitsweise, die sich abzeichnen, werden bei den Werken der DVD zur »konzeptionellen Fotographie« noch offensichtlicher: Die Momente der Selbstreflexion nehmen weiter zu, die Experimente mit dem Material, Untersuchungen zu den physikalischen und chemischen Aspekten der Fotographie, die Überlegungen zum Medium, zu den Grenzen und Überschneidungen, Überschreitungen zu anderen Medien, dazu, wann etwas als Kunst wahrgenommen wird. Die Versuche, nicht mehr »nur« Sichtbares zu sammeln, sondern Sichtbares zu produzieren, zu visualisieren, was außerhalb der Fotographie unsichtbar bleibt. Fleischers Serie mit Bildspiegelungen widerlegt Barthes’ Vorstellung, ein Foto zeuge immer von etwas Dagewesenem; Hilliards Uhrenbilder verweisen auf die Fotographie als Produkt von Licht und Zeit.

Was genau erfährt man also in den 33 Kurzfilmen? Was kann ein Rezipient ihnen entnehmen, wenn er daran interessiert ist, etwas über die Fotographie der letzten 80 Jahre zu lernen? Die Filme zeigen Bilder von Bildern, soviel steht fest, im übertragenen wie literalen Sinne. Aber welche Bilder von welchen? Bilder des Fotographen von seinen Fotographien, von der Fotographie als solcher? Bilder des Fotographen von sich selbst? Bilder des Regisseurs vom Fotographen und dessen Bildern von sich selbst und seinen Fotographien und sein Bild davon, wie Kleins Idee umzusetzen sei? Es bleibt im Ungewissen, wie die Beiträge genau entstanden, wer die Fotographien auswählte, wie die Kommentare verfaßt wurden, ob es Zwischenfragen gab, die man herausschnitt, ob und welche Vorgaben gemacht worden sind. Enttäuscht, wer auf Aufklärung durch umfangreiches Bonusmaterial hofft. Gibt es nicht. Gut so, das Nichtwissen ruft ins Bewußtsein, daß Dokumentationen genausowenig Abbildungen sind wie die Bilder, die sie zeigen.

Die Beiträge sind keine verfilmte Mediengeschichte oder -theorie, vielmehr blickt man durch ein Kaleidoskop, in dessen Innerem sich Fragmente diskurstheoretischer Überlegungen befinden und sich zu immer neuen Kombinationen zusammensetzen, alles wiederholt sich, nichts wiederholt sich. Und jeder Betrachter sieht andere Bilder.

Weniger Vervielfältigung, mehr Vielfalt hätte man sich auch filmisch gewünscht. Abzüge zudem dafür, die DVD auf ein Archivierungsmedium zu reduzieren, ohne ihre technischen Möglichkeiten auszuschöpfen. Negativ auf fällt auch die benutzerunfreundliche Menüführung: Hat man sich erst für eine der drei Sprachfassungen entschieden, muß die DVD erneut gestartet werden, will man sich nicht aus Bequemlichkeit auch englische Ausführungen mit deutscher Voice Over anhören etc.; eine einfache Änderung der Sprachfassung bzw. Ausblendung der Übersetzung ist im Hauptmenü nicht vorgesehen. Schade auch, daß es zwar zum Konzept gehört, die Fotographen ihre Bilder selbst kommentieren zu lassen, dann aber anstelle von Untertiteln zur Übersetzung diese über den O-Ton gesprochen wird. In der englischen Fassung fehlt die Stimme des Fotographen mitunter ganz, aber warum auch nicht, wo man die Vorstellung von einem Original mittlerweile ohnehin verworfen hat – so manche Mühe hätte man sich bei konsequenter Verfolgung dieser Idee sparen können. Dann die Beglückung bei der französischen Übersetzung von Duane Michals Ausführungen – mit englischem, vielleicht amerikanischem Akzent: Nie klang »la réalité« entzückender. Man ist versöhnt. 2008-11-19 11:15

Medien

© 2012, Schnitt Online

Sitemap