Die Welt als Collage
Von Daniel Bickermann
Angesichts dieses Flickenteppichs, den wir Europa nennen, der es liebt, sich zu zanken und gegenseitig in die Suppe zu spucken, der sich in Krisenzeiten ein starkes Brüssel herbeisehnt und im Wohlstand fünfzehn Runden vor dem Europäischen Gerichtshof ausficht, um einen absurden regionalistischen Brauch zu erhalten, angesichts dieses widersprüchlichen, multilingualen Gewirrs, das unsere Heimat ist, war es abzusehen, daß Karambolage, diese kleine, feine Collage-Sendung, zum Inbegriff des europäischen Geistes werden mußte.
Wer die inzwischen schon angestaubte Feststellung, daß der deutsch-französische Kultursender arte fernsehqualitativ in einer eigenen Liga spielt, immer noch nicht glauben will, hat seit kurzem Gelegenheit, sich anhand verschiedener DVD-Veröffentlichungen selbst zu überzeugen: Die stimmungsvolle, vierstündige Dokumentation Unterwegs durch Amerika zeichnet zum Beispiel ein selten differenziertes Bild der Weltmacht, und die »Zu Tisch«-Serie, die inzwischen eine ganze Reihe umfangreicher DVD-Boxen hervorgebracht hat, lockt mit wunderbar absurden Kochrezepten wie einem irischen Whisky-Umtrunk mit frischen Meeresalgen und dem berüchtigten isländischen Traditionsgericht »Vergrabener Haifisch«. Karambolage dagegen löste im Sender anfangs vor allem Bedenken aus, da die Sendung doch Unterschiede betont – und dies nicht immer respektvoll – anstatt Einheit zu predigen. Fünf Sendejahre, einen Grimme-Preis und abertausende Leserzuschriften später ist Claire Doutiauxs wöchentliche Schatzkiste aus dem Sendealltag nicht mehr wegzudenken und gilt längst als eines der Aushängeschilder mitten in der Kernkompetenz des franco-germanischen Gemeinschaftssenders.
Worüber reden wir? Wir reden über eine Sendung, die die Unterschiede zwischen Deutschen und Franzosen erklärt. Wir reden über 13 Minuten, einmal pro Woche. Das erscheint nicht gerade viel, es reicht gerade mal für drei oder vier kleine Beiträge und das berühmte Bilderrätsel (»Befindet sich diese Szenerie in Deutschland oder in Frankreich?«) – aber die Vielfalt in diesen 13 Minuten ist enorm. Neben dem sensationell einfachen und eingänglichen Grund-Design wird der nichtsahnende Zuschauer von einer Fülle unterschiedlichster Animationsformen überfallen: Zeichentrick/Realfilm-Mix wechselt sich ab mit Grafitti-Animation, Stop-Motion-Basteleien interagieren mit Terry-Gilliam-artigen Archivcollagen. Was allen Stilen gemein ist, ist ihre immer leichtfüßige Umsetzung und ihr schnippischer Tonfall (unterstützt durch die schelmisch vorgetragenen Informationstexte), der keine Sekunde Langeweile aufkommen läßt. Jede einzelne der inzwischen fünf erschienenen DVDs ist voll mit über zwei Stunden solcher kleinen Schätze. Umso mehr staunt man, wenn man in den Extras darüber belehrt wird, daß die humorigen drei- bis fünfminütigen Meisterwerke oftmals monatelang in Arbeit sind. Im Prinzip wurde hier ein eigenes Infotainment-Kurzfilmgenre geschaffen, dessen Werkschau höchst unterhaltsam ausfällt.
Thematisch werden ähnliche Feuerwerke der Originalität abgebrannt. Fröhlich keilt man aus gegen die so exzentrischen Nachbarn, die sich ungetümliche Fernsehtürme mitten in die Städte pflanzen (Deutschland), aus speziellen Tellern und mit speziellen Zangen Schnecken schlürfen (Frankreich), die stolz sind auf die Erfindung eines superkomplizierten Bierwärmgeräts (Deutschland) oder die ihr Land als naturgegebene geometrische Form bewundern (Frankreich). Und überhaupt: Wer hat den Butterkeks erfunden? Woher kommt eigentlich das angeblich so urfranzösische Croissant? Wer bitte braucht eine Honiggurke, und warum haben sich die Deutschen so viele Gedanken über Eierlöffel und Eierpieker gemacht? Spätestens beim gemeinsamen Singen des Sandmännchenlieds oder beim Selbstversuch, in welchem Land die Nutella besser schmeckt, wird auch die ungeheure persönliche Begeisterung der durchgehend zweisprachigen Redaktion deutlich, die ohnehin andauernd zum Selbstversuch gebeten wird: Der Charme der Karambolage-Beiträge besteht in ihrer sehr persönlichen Herangehensweise.
Doch die DVDs bieten noch viel mehr als nur eine erwachsene Variante der Sendung mit der Maus: Eine feste etymologische Rubrik erklärt Begriffsherkunft und Sprachentwicklung der beiden Länder, und die häufigen Ausflüge in die politische Kultur erinnern an große nationale Momente wie Robert Badinters ergreifendes Plädoyer 1981 zur Abschaffung der Todesstrafe in Frankreich oder Brands Kniefalls am Mahnmal des Warschauer Ghettos – und an kleine historische Gemeinheiten wie die vertauschte Neujahrsansprache von Helmut Kohl 1986, als die ARD einfach die Konserve vom letzten Jahr ausstrahlte, die sich zugegebenermaßen auch kaum von der aktuellen Fassung unterschied. Und eine ordentliche Portion Subversion gibt es auch, wenn Chirac im Wahlkampf (rein piktographisch natürlich) seinen Vorgänger Giscard D’Estain kurzerhand abknallt, wenn Angela Merkel mit Torten beworfen wird oder wenn die Passionsgeschichte in der Ostersendung mit bemalten Eiern nachgespielt wird, bis der Dotter aus dem zerbrochenen Jesus-Ei gen Himmel auffährt. Dazu eine drollige Tendenz zu kleinen Anzüglichkeiten über die nationale Sexualhygiene – sehr amüsant, immer leicht, immer jugendfrei, aber durchaus freizügig und gerne auch etwas gewagt hier und da – und ein ordentlicher Klacks Selbstironie (in der 100. Sendung wird als einzige positive Auswirkung der Sendung ein wiederhergestelltes Begonienbeet im Place de Berlin in Paris beklagt), und fertig ist ein spielerisch-amüsanter Tonfall, den man im hiesigen Fernsehen sonst vergeblich sucht.
Man stolpert ein wenig, bis man den Aufbau der DVDs versteht, die neben sieben vollständigen Sendungen noch einmal soviel Material als Einzelbeiträge enthalten, aber der Aufwand lohnt sich unbedingt: Das hier ist gelungene Unterhaltung für Erwachsene und schelmisches Infotainment für wahre Genießer.
2009-03-30 11:52