In sieben Lagen vom Lieben sagen
Von Daniel Bickermann
Kurios, wie flüchtig der Zeitgeist ist. Es war erst 1993, da wurde
RTL Samstag Nacht als erste »Comedy«-Sendung nach amerikanischem Vorbild noch scharf kritisiert als Symptom der generellen Medienverrohung. Inzwischen ist die Sendung längst ein nostalgischer, spätpubertärer Kult der nun erwachsenen Generation X, die dieses Spaßgesellschaftsformat par excellence schon immer geliebt hat. Jüngere Zuschauer mögen es vergessen haben, aber die einzige Komödiantenkonkurrenz im damaligen Fernsehen bestand aus der auslaufenden BRD-Resterampe
Sketchup und unheiligen Endlosschleifen von
Peter Steiners Theaterstadl –
Samstag Nacht war nicht nur das beste Comedy-Programm seiner Zeit, es war vor allem das einzige. Oder besser: das erste. Keine fünf Jahre danach tummelten sich hastig selbsternannte »Comedians« in ausgedünnten Sketchsendungen wie
Switch und der
Bullyparade, die ihre Kernstücke jeweils aus den parodistischen respektive surrealistischen Eskapaden von
Samstag Nacht zogen. Inzwischen bestimmt der Humor die wochenendlichen Spätabendprogramme aller Privatsender, aber das charmant stolprige kreative Chaos der Pioniertage ist längst einer Fließbandmentalität gewichen.
Das Wiedersehen mit
Samstag Nacht fällt zwar aufgrund des doch arg infantilen und fäkalhumorigen Tonfalls deutlich getrübt aus, wird aber kompensiert durch die Freude daran, die Anfänge einiger erstaunlicher Karrieren begutachten zu dürfen. Die Stärke der Sendung war stets ein bewußt wilder Stilmix, in dem jeder seine Eigenheiten einbringen konnte – vom klassischen Slapstick eines Mirco Nontschew über das teils begnadete Dada eines Wigald Boning bis zu den noch immer revolutionären Abenteuern in surrealer Alltagsbeobachtung, die Olli Dittrich nicht zu Unrecht zur erfolgreichsten und kreativ interessantesten Nachkarriere führten. Auch daß seine Kollegen Esther Schweins und Stefan Jürgens in die Kulturmoderation beziehungsweise ins ernste Fach wechseln konnten, spricht für die Vielfalt der hier dargestellten Talente.
Das würde zumindest für die eigentlichen Sendungen gelten, die als »Best of« der ersten Staffeln bereits schubweise als DVD erschienen sind. Nun allerdings werden zwei Spezialeditionen der beliebten Rubriken »Kentucky schreit Ficken« und »Zwei Stühle, eine Meinung« in recht lustloser Aufmachung nachgeklappt, die genau diese Vielfalt untergraben. Statt ständiger Auflockerung durch die trocken präsentierten Nachrichten (niemand wuchs in den 90ern auf, ohne die vielen Todes des Karl Rannseier zu betrauern), den Spocht, die »besser als jedes Original«-MTV-Parodie »Far Out«, die grandiosen
Derrick- und
Hobbythek-Hommagen oder die perfekt geskripteten Mauerbegegnungen zwischen Dittrich und Boning gibt es hier nur Monokultur, einmal 70 und einmal sogar 130 Minuten der immer wiederkehrenden gleichen Strukturen.
»Zwei Stühle, eine Meinung« war vor allem dafür gut, die schrillen Outfits Bonings und die beeindruckende Imitationskunst Dittrichs auszustellen. Sicher gab es auch hier surreale Höhepunkte, wenn Boning die »soziosedimentären Gesichtspunkte« von Boris Beckers Hochzeit analysierte oder mit Adolf Hitler über deutsche Comedy diskutierte. Aber sogar in dieser Favoritenzusammenstellung von 26 Interviews aus fünf Jahren finden sich einige Hänger und Würger. Für jede herrlich durchgeknallte »Udo Lindenberg als Data«-Idee und jeden haarsträubend absurden Blümchen-Schlagabtausch hält ein müde gestreckter Ein-Pointen-Sketch die Qualitätswaage.
»Kentucky schreit ficken« dagegen, schon zu aktiven Zeiten der Sendung ein wöchentliches Lotteriespiel aus entweder brillanter Sprachkomik oder plattestem Pupshumor, entwickelt im hier gezeigten Nonstop-Format einen beängstigenden Sog. Nach den sage und schreibe 36 Sketchen oder 70 Minuten ununterbrochener Dauerberieselung (deren Komsumption in einer Sitzung einem
Jackass-Selbstversuch gleichen würde) findet man sich in einem konstanten Rauschzustand sexueller Innuendos wieder, bei dem die Trofi-Penisspielerinnen, scheiße Würzen und ficken Schlitzer nur so durcheinanderhageln. Diesen Trip dann nicht mit hinaus in seinen Alltag zu nehmen, wo Mitmenschen Sprüche wie »Wut Ding will Geile haben« vielleicht nicht auf Anhieb komisch finden, und daraufhin den ganzen Tag schüttelreimig stummzurammeln, das ist wirklich schwanz schön gierig. Aber irgendwie trotzdem lustig.
2009-08-18 12:00