Eine Runde mit Leid
Von Alexander Scholz
Will man einen mitleidigen Blick vermeiden, ist man gezwungen, Haltung zu bewahren. Seien die Umstände noch so widrig, es gilt, ihnen mit Aufrichtigkeit entgegenzutreten. Aus diesen Begriffen klingen heroische Konnotationen heraus, allzu oft auch Mißklänge des Pathetischen. Daß sich heroischer Pathos und Mitleid jedoch eher mäßig gut vertragen, wissen wir seit Diderot und Lessing. Die Grenze zwischen Mitleidhaben und Bemitleiden kann dabei durchaus fließend sein. Daß beide Emotionen auch in einem konträren Verhältnis zueinander stehen können, zeigt Bård Breien in seiner Komödie Die Kunst des negativen Denkens.
Dabei torpediert er die begrifflichen Assoziationen des klassischen Heldentums völlig. Die Teilnehmer der Therapiegruppe, die er in seinem kammerspielartigen Film zeigt, sind teilweise schon physisch nicht mehr dazu in der Lage, Haltung zu bewahren, weil sie an den Rollstuhl gefesselt sind. Psychische Aufrichtigkeit, die zweite Möglichkeit, zu Heroen des Alttags zu werden, verspielt die professionell betreute Gruppe – einschließlich der Therapeutin – mit ihrer bedingungslos positiven Herangehensweise an ihre schweren Lebenskrisen. Daß sich mit dieser Methode gewaltig in die Tasche gelogen wird, ist dem Zuschauer bereits nach dem Prolog klar. Der Gruppe dämmert es erst, als sie auf den verbitterten Geirr trifft.
Der kiffende Misanthrop ist die absolute Antithese zur zwanghaft positiven Therapeutin Tori und entzieht sich energisch ihrem Einfluß. Er verurteilt ihre optimistische Einstellung, weil er die Bevormundung erkennt, die die autoritär verordnete Herangehensweise des positiven Denkens impliziert. Entschieden brandmarkt er Toris gespieltes Mitleid als Bemitleiden, das den Zweck hat, sich in Abgrenzung zur Gruppe selbst besser zu fühlen. Daß die Therapeutin die Gruppe als Instrument der Selbstvergewisserung nutzt, wird am ersten Wendepunkt des Films auf die Spitze getrieben: Sie zwingt Geirr, mit ihr zu tanzen, indem sie ihn auf seinem Rollstuhl durch die Gegend schiebt. Zum Schluß kniet sie sich zu Geirr herunter, der die nunmehr physisch repräsentierte Herablassung ebenso quittiert: mit einem Faustschlag.
Der Konflikt ist jetzt einseitig gelöst, und die Gruppe folgt Geirrs Führung und damit den Gesetzen der Entropie. Dem Film nimmt diese frühzeitige Richtungsentscheidung dabei leider einiges an Dynamik. Der Fokus liegt jetzt darauf, die kathartische und bisweilen halluzinatorische Wirkung zu zeigen, die die Freiheit von Bemitleidung und Bevormundung entfacht. Das additive Erzählen immer neuer kleinerer Konflikte schafft es dabei allerdings nicht, den Film zu tragen. Wenn nach einer harten Nacht die Sonne aufgeht, verläßt der Zuschauer die dramaturgische Einheit von Zeit und Raum mit dem Wunsch, sie hätte auch auf die Handlung zugetroffen. Den klassischen Anspruch des Mitleidens vermag der Film trotzdem zu erfüllen, weil er den Zuschauer durch seinen schwarzen Humor vor dem Bemitleiden der Figuren bewahrt, gegen das diese rebellieren.
2009-11-16 13:15