Film der Dialekte
Von Gerd Naumann
Karl May ist der 1974 uraufgeführte Mittelteil von Hans-Jürgen Syberbergs »deutscher Trilogie«, die in den 1970er Jahren für Aufsehen sorgte. Den Anfang setzte ein Film über Ludwig den II., und den Höhepunkt erfuhr der Zyklus mit dem siebenstündigen Hitler – Ein Film aus Deutschland, der fast dreißig Jahre keine offizielle Deutschlandpremiere erfuhr. Syberbergs Hitler-Film löste hierzulande bereits im Vorfeld feuilletonistische Kontroversen aus, war aber in Amerika, hier vor allem in New York, erfolgreich.
Gerade über Hitler – Ein Film aus Deutschland wurde viel geschrieben, was aufgrund der Thematik nicht verwunderlich ist. Dennoch stellt Karl May aus verschiedenen Gründen einen künstlerischen Höhepunkt dar, weshalb es an der Zeit ist, das dreistündige Werk wiederzuentdecken und endlich gebührend zu würdigen. Gewisse Merkmale des Syberbergschen Œuvres lassen sich auch hier finden, etwa der dokumentarische Blick auf das Spielgeschehen. Hinzu kommt, daß Karl May mit einem eindrucksvollen Darstellerensemble aufwarten kann, darunter auch mit vielen ehemaligen UFA-Stars. Herausragend in der Titelrolle spielt der Regisseur und Schauspieler Helmut Käutner, der in jeder Szene, mit jeder kleinsten Geste dem Schriftsteller Präsenz und Glaubwürdigkeit verleiht. Seine Interpretation der Rolle stimmt bis ins Detail, etwa dem wundervoll eingesetzten sächsischen Dialekt. Von den oft kolportierten Spannungen zwischen Helmut Käutner und seinem Regisseur ist nichts zu spüren.
Überhaupt ist Karl May ein Film der Dialekte, ein Werk der Liebe zum wilhelminisch-historischen Detail. Gerade hierin liegt auch die Stärke des ehemaligen Dokumentarfilmers. Anders als in Hitler – Ein Film aus Deutschland versucht Syberberg nicht, die Einstellungen zwanghaft mit symbolischem Gehalt aufzuladen, sondern konzentriert sich auf die Gestaltung der Spielszenen. Das Darstellerensemble dankt es ihm mit eindrucksvollen Leistungen. Behutsam, in geradezu zärtlichen Einstellungen beschwört Syberberg den Geist des untergehenden Kaiserreichs. Die Inszenierung der unangepaßten Künstlerexistenz Karl Mays hat bisweilen sogar märchenhafte Anwandlungen. Das mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnete Werk macht auf schmerzliche Weise bewußt, welche Chancen sich das Gros der deutschen Autorenfilmer vergab, indem es auf etablierte und hochkarätige Schauspieler zugunsten einer filmischen Idee von Authentizität verzichtete. Daß sich große, weil unaufdringlich und natürlich wirkende Schauspielkunst und Autorenvision nicht ausschließen, das beweist Syberbergs Karl May sehr eindrucksvoll.
Die durch die Filmgalerie 451 vertriebene Doppel-DVD beinhaltet den Film in ordentlicher Qualität, hat jedoch keine Extras. Daß dieser Film überhaupt auf DVD erschienen ist, ist dennoch erfreulich genug. Ebenfalls verfügbar sind Ludwig – Requiem für einen jungfräulichen König sowie Hitler – Ein Film aus Deutschland.
2010-01-04 03:25