Das Spiel dauert 2x7 Minuten
Von Gerrit Booms
Fußball verbindet. Ein ebenso kurzer wie prägnanter Satz, der auch deswegen schon lange zur Plattitüde verkommen ist. Doch in den Hinterhöfen und auf den Bolzplätzen zeigt sich sein wahrer Kern. Den haben auch Mel Young und Harald Schmied erkannt und deswegen den »Homeless World Cup« ins Leben gerufen, der Obdachlose ermutigen soll, sich in die Gesellschaft zurückzukämpfen. Seit 2003 spielen jedes Jahr Hunderte mehr oder minder junge Männer um drei Pokale – und für eine wichtige Chance in ihrem Leben. Denn jeder Obdachlose darf nur einmal an dem Turnier teilnehmen. Kicking It begleitet einige von ihnen auf genau diesem Weg.
Susan Koch und Jeff Werner stellen einige Protagonisten der Weltmeisterschaft 2006 in Südafrika vor. Die kommen aus Irland, Kenia, den USA, Spanien, Russland oder auch Afghanistan. Die Männer zwischen Anfang 20 und Mitte 60 haben sehr unterschiedliche Vorgeschichten – und sie verfolgen alle ihr ganz eigenes Ziel, das wird schnell deutlich. Mal ist dies sehr lebensnah und realistisch, mal absolut an den Haaren herbeigezogen und eigentlich nur ein Wunschtraum. So möchte der eine aus der sportlichen Herausforderung Kraft im Kampf gegen seine Drogensucht schöpfen, der andere gerne für den Profifußball gescoutet werden. Ganz ähnlich verhält es sich im Übrigen mit den Ambitionen der sportlichen Leitungen. Während die einen ihren Mannschaften eine schöne Zeit bescheren wollen, in der sie Sonne, Strand und Sport genießen können, setzen die anderen ihre Spieler unter Druck. Für sie zählt einzig der sportliche Erfolg, mit dem im eigenen Land auf die Verhältnisse der Obdachlosen aufmerksam gemacht werden soll.
Durch schlichte Begleitung filtert Kicking It nach und nach ehrliche Emotionen und archetypische Motive heraus. Der »Homeless World Cup« entpuppt sich so als Spiegelbild der menschlichen Befindlichkeit. Und die Obdachlosen zeigen sich, dem Wortsinne entsprechend, ebenso zivilisiert wie jeder andere. Ihre Hoffnungen und Wünsche, ihre Ziele und Blauäugigkeiten, ihre Wut und Angst, das sind die Geschichten neben dem kleinen Street-Soccer-Feld – und der Rahmen für die Komödien und Tragödien, die wie so oft ganz nah beieinander liegen. Nicht umsonst fällt immer wieder das Stichwort »Würde«.
Sicherlich waren dabei dramaturgische Kniffe im Spiel. Es hat nachweislich nachträgliche Aufnahmen gegeben, die Arbeit von mehreren Units. Das ist bei einem so kleinen Filmprojekt und so großer räumlicher Ausbreitung aber auch durchaus verständlich. Bei Spielern aus insgesamt 48 Nationen können die Geschichten nicht alle im Vorhinein gefunden werden. Es ist dann der hervorragende Schnitt, der den Film im Fluß hält und der Dokumentation einen Hauch von Live-Reportage verleiht. Unter diesem Aspekt ist Kicking It absolut sehenswert – und ein ernsthafter Beitrag zur Reintegration. Gut, daß sich drei Jahre nach seinem Erscheinen auch ein deutscher Verleih finden ließ. Die anstehende Profi-Fußball-WM macht es wohl möglich. Fußball verbindet eben.
2010-06-01 17:12