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Der Kommissar: Kollektion 1

Folgen 01-24. BRD 1969. R: Theodor Grädler, Wolfgang Becker u.a. B: Herbert Reinecker. K: Rolf Kästel, Manfred Ensinger. S: Werner Preuss, Ingrid Bichler, Ilse Wilken, Sophie Mikorey u.a. M: Peter Thomas, Herbert Jarczyk, Erich Ferstl, Hans-Martin Majewski. D: Erik Ode, Reinhard Glemnitz, Günther Schramm, Helma Seitz, Fritz Wepper, Elmar Wepper, Emily Reuer, Rosemarie Fendel u.a.
1424 Min. Universum Film ab 18.6.10

Sp: Deutsch (DD 1.0). Ut: keine. Bf: 1.33:1. Ex: Alte Autogrammkarte (Nachdruck) von Reinhard Glemnitz, Postkarten des Schriftzuges, Eigens produzierte Interviews mit Schauspielern, Alte Interviews, Pannen, Szenen aus anderen TV-Serien, Bildergalerien, Fan-Fotos, Bildschirmschoner.

Vater ist dagegen sehr

Von Oliver Baumgarten 1969, als die Durbridge-Straßenfeger an Popularität verloren hatten und auch Jürgen Rolands 22teilige Serie Stahlnetz ausgelaufen war, wurde es im deutschen Fernsehen Zeit für ein neues Serienformat. Und es kam eines, das endgültig und bis heute andauernd dafür sorgen sollte, daß der Krimi aus dem Kino verschwand und nunmehr fast ausschließlich seine Heimat im Fernsehen fand. Der Kommissar, geschaffen von Drehbuchautor Herbert Reinecker, etablierte in Deutschland die klassische Form des ermittelnden Serienhelden, wie sie aus unterschiedlichen US-Reihen bereits bekannt war.

Auf 97 Folgen brachte es Der Kommissar zwischen 1969 und 1976 und war über alle Maßen beliebt. Die Titelrolle des Kommissar Keller übernahm Erik Ode und damit gleichsam die Verantwortung über drei Mitarbeiter (Günther Schramm als Grabert, Reinhard Glemnitz als Heines, Fritz Wepper als Klein), die sich untereinander duzen, ihren Chef aber aufblickend siezen. Keller ist eine Respektsperson – weniger allerdings durch strenges Chefgehabe als vielmehr durch seine Funktion als patriarchaler Mentor. Er überträgt seinen Mitarbeitern didaktisch gründlich erwogene Verantwortung, leitet sie und fungiert immer wieder als verständnisvoller Ansprechpartner, wodurch er überdeutliche väterliche Züge gewinnt.

Erik Ode selbst, so erzählt man sich, hat immer wieder versucht, sich gegen Herbert Reinecker durchzusetzen und dem Autoritären, Väterlichen der Kommissarsfigur etwas Humor und Lockerheit entgegen zu setzen – doch vergebens. Für Herbert Reinecker war Kommissar Keller die angemessene Reaktion auf die wild gewordenen Studentenrebellen und deren anarchische Auswüchse: »Der Übervater Kommissar«, so Georg Seeßlen 1973 in »Romantik und Gewalt«, stellt »die Ruhe wieder her, indem er das kranke Kind, das die anderen anzustecken droht, entfernt und einer Sonderbehandlung zuführt.«

Herbert Reinecker war als ehemaliger HJ- und SS-Propagandist sowie als Drehbuchautor von NS-Durchhaltefilmen wie Junge Adler (Alfred Weidenmann, 1944) ein Prototyp des »Überläufers«, ein Musterexemplar an konservativer Kontinuität zwischen Nazizeit und junger Republik, die das Nachkriegsfilmgeschäft in der BRD vornehmlich bestimmte. Als solcher entwarf Reinecker mit Kommissar Keller eine im Grunde schon 1969 antiquierte und im höchsten Maße konservative Figur, die auszieht, Quellen vermeintlicher Unmoral als Ursache für Verbrechen aufzudecken.

Ein anschauliches Beispiel dafür liefert etwa die Episode 54, Blinde Spiele (Regie: Theodor Grädler): Ein friedlicher See, im Off schreien spielende Kinder, und nach einem Schwenk sehen wir einen Strand mit Liegestühlen, Sonnenschirm und Picknickkorb – bürgerliche Wochenendidylle. Plötzlich erblickt die Familienmutter ein treibendes Boot, aus dem eine Hand hervorschaut. der Vater paddelt hin und entdeckt – eine Leiche. Aus ist's mit dem wohlverdienten Wochenende.

Der Tote ist, wie sich herausstellt, der Besitzer einer Bootshütte, in der er an jedem Wochenende verschiedene Frauen empfängt. Die Frauen wissen voneinander, ebenso wissen ihre Ehemänner über diesen außerehelichen »intimen Kontakt« Bescheid – sie selbst haben nämlich auch Affären. Der Entschluß beider Paare, trotz Ehe wechselnde Sexualpartner zu haben (also die Idee der freien Liebe, wie sie in den 68er-Kommunen entwickelt wurde), kann im Weltbild von Der Kommissar nur zu einer Lösung führen: zu Mord. Die beiden Kinder nämlich entdecken die Mutter mit dem fremden Mann zusammen und erschießen ihn kurzerhand. Noch vor der Überführung beklagt Kommissar Keller den Wunsch einiger Menschen, modern und anders sein zu wollen, letzten Endes dabei aber nur sich und vor allem den Kindern zu schaden. »Spiele« wie diese sind es, auf die sich Folge für Folge die Menschen blind einlassen und sich dann von Reinecker mögliche Konsequenzen für die bürgerliche Ordnung aufzeigen lassen müssen.

Kommissar Keller hat stets versucht, ein Stück heile Welt aus den 1950er Jahren in die 1970er zu retten. Als das ZDF dann 1974 einen zweiten Dauer-Kommissar schuf – diesmal in Farbe – und für diesen Harry Klein abstellte, da setzte sich Keller nach einigen letzten Episoden ungebrochener Popularität zur Ruhe. Lediglich Schauspieler Erik Ode schaute noch ein paar Mal bei seinem Nachfolger Kommissar Derrick vorbei – nicht um zu ermitteln, sondern um zu inszenieren.

Es wurde wahrlich Zeit, daß Der Kommissar nun endlich in vier Kollektionen auf DVD erscheint. Denn mag sein bisweilen unangenehmer Konservativismus auch anstrengen, so bleibt er doch ein wichtiges Stück Fernsehgeschichte und stellt ein teilweise sogar filmisch nicht uninteressantes Alterswerk dar von einst einflußreichen Kinoregisseuren wie Georg Tressler, Alfred Weidenmann, Wolfgang Staudte oder Helmut Käutner.

Episoden 1 bis 24 sind ab sofort bei Universum Film als »Kollektion 1« erhältlich, ab Mitte August folgen die Episoden 25-48, Anfang November 49-73 sowie im Februar 2011 dann die Episoden 74-97. In der »Kollektion 1« ist eine DVD mit Bonusmaterial enthalten, das außer einigen interessanten Interviews u.a. mit Herbert Reinecker allerdings eher etwas dünn ausfällt. Um so schöner dafür die Wiedergabe des kontrastreichen 16mm-Schwarzweiß-Materials. 2010-08-13 14:55

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