Coole Unausgeglichenheit
Von Patrick Hilpisch
Bevor Mark O'Rowe anfing Drehbücher zu schreiben, hat er sich als Autor diverser Theaterstücke einen Namen gemacht. Underdogs, Kriminelle, Soziopathen und gestörte Existenzen bevölkern diese Werke, in denen die Bühne zum Abbild ihrer Seelen wird. Die Sprache, die O'Rowe benutzt, ist roh, vulgär und schonungslos, aber zugleich, da ist sich die Mehrheit der Kritiker einig, ungemein realistisch und deskriptiv.
2003 wird O'Rowes erstes Drehbuch verfilmt.
Intermission spielt, wie viele seiner Theaterstücke, in Dublin und verwebt auf clevere und unterhaltsame Weise die Schicksale enttäuschter, frustrierter und ambitionierter Menschen. Eine urbane Love Story, garniert mit schrägen Charakteren und einer Portion Crime. Das Ergebnis ist ein kleiner, aber charmant-bissiger Film zwischen Drama und Komödie. Auch hier sind es die Dialoge, die den Situationen Glaubwürdigkeit und den Charakteren Dreidimensionalität verleihen. Neben dem vorzüglichen Cast, dem O'Rowes Worte in den Mund gelegt werden, und der abwechslungsreichen Story ist es diese sprachliche Ebene, die
Intermission zu einem kleinen Juwel des irischen Kinos macht.
Nach der gefeierten Adaption des Erfolgsroman »Boy A« von Jonathan Trigell, die ebenfalls von
Intermission-Regisseur John Crowley verfilmt wird, taucht Mark O'Rowe in seinem neusten Drehbuch erneut in die urbane Welt der Loser, Klein- und Großkriminellen ein. Michael (Cillian Murphy) ist notorisch blank und hat Schulden bei dem berüchtigten Kredithai Perrier (Brendan Gleeson). Das letzte Ultimatum für die Rückzahlung läuft ab, und Perrier's Schläger drohen mit diversen Knochenbrüchen.
Verzweifelt versucht Michael, das Geld aufzutreiben. Als letzter Strohhalm bleibt ihm ein Einbruch mit zwei stadtbekannten Ganoven. Doch auf seinen Anteil muß er noch ein paar Stunden warten. Als Perriers Schuldeneintreiber ihm erneut auf die Pelle rücken, erschießt Michaels Nachbarin Brenda (Jodie Whittaker) einen von ihnen. Zusammen mit Michaels Vater (Jim Broadbent), der nach langer Funkstille seinem Sohn etwas Wichtiges mitteilen will, machen sich die beiden auf die Flucht vor der rachelustigen Meute Perriers…
Mark O'Rowe etabliert die Handlung von
Kopfgeld – Perrier's Bounty über eine Erzählstimme aus dem Off. Dieser von Gabriel Byrne eingesprochene Voice over weckt durch seinen süffisanten Ton und seine ausgestellte Allwissenheit zunächst Erinnerungen an
The Big Lebowski. Von philosophischen Fragen ist die Rede – »von Leben, Tod und Glaube und all so 'nem schwachsinnigen Scheiß«. Man soll es sich bequem machen und gut zuhören, denn, so die Stimme aus dem Off, »hinter all dem Schwachsinn steckt nämlich ein tiefer Sinn«.
Da werden also gleich zu Beginn schwere narrative Geschütze aufgefahren, die die Erwartungshaltung an die folgenden 80 Minuten entsprechend hoch setzen. Das Ganze entpuppt sich jedoch als eine große pseudo-philosophische Blase, die am Ende platzt, ohne das Versprochene einzulösen. Autor O'Rowe scheint in seinem Drehbuch mit dieser Diskrepanz spielen zu wollen. Vor allem wenn man bedenkt, wen er da als Erzählinstanz eingeführt hat. Das wird allerdings erst am Ende des Films enthüllt bzw. »im Dunkeln gelassen«.
Diesen »Kniff« mag mancher enttäuschend oder ärgerlich finden. Und er hat bei weitem nicht die revelatorische »Sprengkraft«, die ihm der Autor wohl zugedacht hat. Das zentrale Problem des Films ist er jedoch nicht. O'Rowe verläßt sich diesmal zu sehr auf den Coolness-Faktor seiner Sprache und seines Figureninventars. Und dies wirkt in dieser übersteigerten Form über weite Strecken forciert und gekünstelt. Der griffige und realistische Ton, der seine Bühnenstücke und das Drehbuch zu
Intermission ausmacht, blitzt zu selten durch. Und gerade dieser wäre nötig gewesen, um den »leiseren«, nachdenklichen Momenten des Films mehr Tiefe zu verleihen.
Als Zugeständnis an das potentielle Zielpublikum der »Ritchie-Jünger« kann wohl gewertet werden, daß der Drehbuchautor sehr darauf bedacht ist, möglichst viele skurrile Figuren und Situationen einzubinden. Dieser erzählerische Übermut führt aber dazu, daß kein geschlossener narrativer Eindruck entsteht, sondern der einer losen und oberflächlichen Aneinanderreihung. Diese Unstimmigkeiten des Drehbuchs kann auch die hochkarätige Besetzung nicht »wegspielen«.
Als kleiner irischer Gaunerfilm mit großer Besetzung versprüht
Kopfgeld durchaus einen gewissen Charme, vor allem in der Originalfassung. Wobei es hier ärgerlich ist, daß die Blu-Ray-Version ohne englische Untertitel auskommen muß. Die anvisierte Balance zwischen Humor und Ernsthaftigkeit kann der Film jedoch nur selten halten. Diese Unausgeglichenheit ist sein größter Schwachpunkt – und die Tatsache, daß man ihm zu sehr anmerkt, für welches Publikum er gemacht wurde.
2010-10-11 17:25