Das Schweigen der Grillen
Von David J. Lensing
Auf dem deutschen DVD-Cover bildet ein blutrotes Herz den Hintergrund für das Abbild eines bizarren Pärchens: ein Brille und Jackett tragender Junge neben seiner offensichtlich untoten Freundin. Darüber prangt der Titel Küß mich, Zombie!. Derselbe Film, Übersee: Das DVD-Cover zeigt ein blutrotes Herz vor einem pink eingefärbten Hintergrund, der die Gestalt eines Mädchens andeutet. Darunter der Titel: Make-Out with Violence – ein tragikomischer Coming-Of-Age-Independentfilm, aus dem die deutschen Verleiher im Handumdrehen einen Zombiefilm gemacht haben. Muß an dem Zombie liegen. Wenn im Vorfeld so verantwortungslos mit der Erwartungshaltung des Zuschauers gespielt wird, sind enttäuschte Gemüter vorprogrammiert. Gleichwohl findet ein eher unbekannter Film auf diesem Wege ein breiteres Publikum und weiß den einen oder anderen Trash-, Splatter-, oder Horrorfan womöglich positiv zu überraschen – obwohl diese Elemente selten bis gar nicht in dem ungewöhnlichen Genre-Mix auftauchen.
Vielmehr dominiert in dem Debüt der Deagol Brothers das Drama, um nicht zu sagen: Die Tragödie. Hinter jeder Torte mit achtzehn Kerzen, die das Geburtstagkind nicht mehr auszupusten vermag, hinter jeder Beerdigung mit einem leeren Sarg voller Erinnerungen, verbirgt sich die grausame Geschichte vom Verlust eines geliebten Menschen. In diesem Fall: Wendy. Spurlos verschwunden nehmen die Verwandten und Freunde irgendwann im Rahmen einer Zeremonie Abschied von ihrer Tochter, Freundin, ersten großen Liebe, die dann – eines Tages – plötzlich gefunden wird. Die Brüder Carol und Beetle streunen gerade durch die Wiesen, als auf einmal das Zirpen der Grillen verstummt, nur für einen Moment, um das Unheil anzukündigen: Wendy ist weder tot, noch lebendig. Sie ist ebenso weder eine rasend tollwütige Rage-Infizierte, noch ein um sich greifender, schlurfender Konsum-Zombie á la Romero, sondern auf ihre eigene, ganz spezielle Weise untot. Wie das passierte wird ebenso wenig erklärt wie das Phänomen an sich. In der Selbstverständlichkeit, mit der die Jungs das Mädchen mit nach Hause nehmen und verstecken, wie ein Haustier pflegen und weiterhin begehren, begründet sich ein schräger Surrealismus. Küß mich, Zombie! ist weniger ein Zombiefilm mit Teenagern, als ein Teeniefilm mit einem Zombie. Es geht, wie in Teenie-Filmen so üblich, ums Loslassen können und Erwachsen werden – hier versinnbildlicht am Umgang mit dem seelenlosen Körper Wendys, die hin und wieder aus ihrer Leblosigkeit erwacht, sich mit abartigen Bewegungen, sämtlicher Sinne beraubt, erhebt, um direkt wieder umzufallen (die motorische Leistung von Schauspielerin Shellie Marie Shartzer muß an dieser Stelle einfach hervorgehoben werden: Best Zombie Ever!).
Bei den Deagol Brothers handelt es sich um ein Pseudonym für ein Künstler-Duo aus Tennessee: Die Independent-Filmemacher Chris Doyle und Andy Duensing. Küß mich, Zombie! ist ihr Langfilm-Debüt, was man der visuell und schauspielerisch einwandfreien Produktion zu keiner Zeit anmerkt. Das junge Ensemble liefert eine durchweg glaubwürdige Performance, eingefangen in poetisch schönen Bildern. Die makabere Romanze verweigert sich ganz bewußt aufsehenerregenden Schockmomenten und allzu großen Gesten, weist nur rar gesäte Situationskomik und ansonsten erstaunlich britischen Humor auf – alles in Kombination wird so über die Laufzeit von 105 Minuten dem Eindruck von Langatmigkeit wohlgemerkt nicht gerade entgegengewirkt. Nach einem flotten Auftakt schlägt der Film ruhigere Töne ein und räumt einer ganzen Handvoll von Figuren viel Platz ein, um sich zu entfalten. Besonders der Subplot rund um Anne Haran alias Tia Shearer hätte durchaus gestrafft werden können. Doch ob dem Zuschauer ein Film nun gefällt oder nicht, hängt selten von fünf Minuten gefühlter Überlänge ab – sehr wiederum vom Soundtrack.
Und der ist absolut gelungen. Ein treibender, mystischer Score begleitet den gesamten Film und trägt maßgeblich zu dessen Wirkung bei. Den Großteil des rund 40 Musikstücke umfassenden Soundtracks schrieb übrigens Hauptdarsteller Eric Lehning zusammen mit seinem Bruder – noch lange bevor das Drehbuch zu Küß mich, Zombie! fertig war. Freunde alternativen Indierocks und Musik á la Brian Eno dürfen sich diesen Film eigentlich nicht entgehen lassen.
Wer wiederum die Idee von einem Zombiefilm ohne Epidemie zwar interessant findet, bei der Geschichte rund um ein untotes Mädchen aber nicht auf die üblichen Horrorelemente und einen gewissen Blutzoll verzichten möchte, dem sei eher der Film Dead Girl von Marcel Sarmiento und Gadi Harel aus dem gleichen Jahr ans Herz gelegt: Ähnlicher Ausgangspunkt, ganz andere Story.
2011-05-09 09:16