Schämen strengstens erwünscht!
Von Matthias Wannhoff
Geschichte wiederholt sich, auch wenn sie dafür sechs Jahrzehnte und einen Medientransfer zurücklegen muß. Im Jahr 1952 erscheint Jim Thompsons Roman »The Killer Inside Me«, ein brutaler Kleinstadt-Noir und inzwischen Klassiker der »Pulp«-Literatur, was seinerzeit weniger eine Stilrichtung meinte als eine Rezeptionsästhetik: Billiges Papier hinter schrillen Deckblättern zu Schleuderpreisen. Kein Angriff, aber doch eine Antithese zum Konzept der Hochkultur, ähnlich wie ein Woolworth-Wühltisch. An letzterem zeigen sich auch heutige Kulturkenner eher selten. Dagegen ist »Pulp«, nicht zuletzt durch einen gewissen Herrn Tarantino, längst kanonisiert. Vorausgesetzt, man rüttelt nicht an seinen Anführungszeichen.
Im Jahr 2010, Schauplatz Sundance-Festival, verläßt Jessica Alba das Kino, als die Premiere ihres neuen Films The Killer Inside Me läuft. Soeben war auf der Leinwand zu sehen, wie das hübsche Gesicht der Actrice in Richtung des Monströsen geprügelt wird. Das erlebt man nicht allzu oft: Daß Hollywood-Stars in Filmen mitwirken, die zu schauen ihnen bereits bei der Premiere peinlich ist. Mag sein, daß Alba sich bei ihrem Fluchtversuch von jenen empörten Zuschauern hat anstecken lassen, die lauthals fragten, was so ein Machwerk denn auf einem exklusiven Indie-Festival zu suchen habe. Jedenfalls zeigt sich hier wie dort: The Killer Inside Me war zu sehr Pulp fürs Sundance. Schämen strengstens erwünscht.
Der Grund für diese Wirkung ist schnell gefunden. Es ist die rigorose Ironiefreiheit, mit der Michael Winterbottom den Stoff anpackt, mag auch der nostalgische Vorspann an die Sprache von Tarantino und Rodriguez erinnern. Zwar ist der Film nicht frei von Komik, diese wurzelt allerdings fast ausschließlich im Erzählten, nicht in der Erzählung. Winterbottom bleibt streng an Thompsons Vorlage, die von einem misogynen, mordlüsternen Südstaaten-Sheriff handelt, der fatalerweise immer wieder an masochistische Frauen gerät. Neben diesem Grundkonflikt dominieren die filmische Umsetzung ein recht komplizierter Erpressungs-Plot sowie die haarsträubenden Vertuschungsmethoden des Antihelden, dem Casey Affleck mit einem scheinheiligen Timbre diesseits des Stimmbruchs die nötige Widersprüchlichkeit verleiht.
Es ist etwas bedauerlich, daß Winterbottom nicht umher kann, diese Widersprüchlichkeit auflösen zu wollen, wenn er ein kindliches Trauma der Titelfigur als Ursache für dessen Pathologie andeutet. In diesem Psychologismus, nicht in der graphischen Gewalt besteht der moralische Makel des Films, dem daher allenfalls vorzuwerfen ist, daß er nicht kompromißlos genug ist. Zwar historisiert er nicht die stilechte Fifties-Patina – diese nimmt er todernst –, wohl aber die Biographie seines Helden. Ansonsten aber gelingt ihm, was Michael Haneke mal als ein Ziel seiner Arbeit benannt hat: Erzählte Gewalt, in der Popkultur längst eine Selbstverständlichkeit, als etwas immanent Abstoßendes, Nicht-Selbstverständliches darzubieten. Während bei Haneke jedoch die Meta-Ebene stets einen doppelten Boden produziert, wird einem derselbe durch Winterbottoms anti-akademischen Gestus regelrecht unter den Füßen weggezogen. Nicht die schlechteste Nachricht: Im Jahr 2011 kann nicht nur Jessica Alba, sondern auch das bürgerliche Wohnzimmer wieder mit dem Stoff von Wühltischen verstört werden.
2011-05-16 09:07