Im Kino gibt es keine Wirklichkeit
Von Felix von Boehm
Andreas Dresen ist mit seinem Liebesfilm
Wolke 9 erneut ein großes Stück Kino gelungen, wie bereits
Halbe Treppe produzierten er und Peter Rommel den Film mit kleinem Team und großem Improvisationsaufwand. Felix von Boehm sprach mit Andreas Dresen über das Altern, die Authentizität und das Filmemachen.
Herr Dresen, haben Sie Angst vor dem Alter?
Natürlich haben wir alle irgendwie Angst vor dem Alter. Nicht zuletzt auch, weil das Alter ja mit dem körperlichen Verfall einhergeht. Wahrscheinlich haben wir deswegen auch so Angst vor den Bildern von alten Körpern. Weil uns das an den Tod erinnert und daran, daß wir alle sterblich sind. Deswegen war es für mich ein gewisser Trost, mich mit
Wolke 9 diesem Thema zu nähern. Schließlich geht es ja in dem Film darum, daß jemand im höheren Alter und allen Widerständen zum Trotz noch mal etwas beginnt. Insofern war dieser Film für mich eine ganz gute Angsttherapie.
Auch für die Zuschauer?
Das hoffe ich. Schließlich verdrängt man das Alter heutzutage ja gerne. Alle sollen immer aussehen wie 16, und die Frauen fangen an, sich ihre Falten mit Botox unterspritzen zu lassen. Das ist schade, denn ein gealtertes Gesicht kann so schön sein!
Auch das Kino mag keine Falten. In Cannes erhielt wieder mal ein Film über die Jugend die Goldene Palme: Entre les Murs.
Ja, und das in einer Zeit, in der die Menschen immer älter werden. Das ist schon komisch. Aber das Alter ist eben unsexy, meint man. In Kinofilme mit alten Menschen will man nicht reingehen. Wer will so was schon sehen? Und wenn man im Kino mal Alte zu sehen bekommt oder vor allem alte Liebesgeschichten erzählt bekommt, dann geht es eigentlich immer darum, das putzig zu finden, es vielleicht sogar ein wenig zu belächeln. Und Sex gibt's da natürlich sowieso nicht.
Das wollten Sie anders machen?
Ja. Anders und vor allem näher an der Wahrheit. Denn natürlich gibt es im Alter noch Leidenschaften, Sexualität, Frühlingsgefühle und Blütenstaubwolken. Alles eben, was zum Verliebtsein dazugehört. Alte Leute machen nicht nur Bus- und Dampferfahrten oder kaufen Häkeldeckchen…
Selbst Ihre Hauptfigur Inge glaubt ja nicht daran, daß sie sich im Alter nochmal wirklich verliebt.
Ja, mit ihren fast 70 Jahren vertraut sie diesem Gefühl am Anfang überhaupt nicht. Sie denkt, sie kann ihrem ebenso alten Liebhaber die Tür vor der Nase zuschlagen, und dann wird das schon wieder vergehen. Aber es vergeht nicht. Und ihr bis dahin in geordneten Bahnen verlaufendes Leben entgleist eben. Oder sagen wir: Sie stellt schließlich entschieden die Weiche und geht ihren Weg. Ich finde das ganz gut, daß sie das tut. Man sollte sich im Leben nie zu sicher fühlen. Auch nach 30 Jahren Ehe nicht.
Auch der Zuschauer glaubt am Anfang nicht, daß das wirklich passiert. Woran liegt das?
Wir halten es ja schon mit 16 Jahren nicht für möglich, daß unsere Eltern noch Sex haben. Dabei waren meine Eltern, als ich 16 Jahre alt war, jünger als ich es jetzt bin. Es fällt einem irgendwie schwer, den älteren Generationen ein wildes Liebesleben zuzugestehen. Obwohl das natürlich stattfindet. Es ist vielleicht sogar schöner, ungenierter und mit weniger Aufregung und mehr Erfahrung verbunden. Da braucht man gar nicht mehr unbedingt einen Orgasmus, da geht es um Zärtlichkeit und andere Spielarten.
Es gibt nur ganz wenige Beispiele in der Filmgeschichte, die ähnlich frei an das Thema herangegangen sind. Woran haben Sie sich orientiert?
Es gibt da den Film eines belgischen Freundes:
Die Männer meiner Oma, in den 90er Jahren produziert. Der beginnt mit einer schönen Schrifttafel: »Mein Produzent wollte einen Film über Sex. Machen wir, sagte meine Oma.« Und dann beginnt der Film, und die Oma erzählt über ihre Erfahrungen und ihr Sexualleben. Zum Beispiel, daß sie nach ihrem Arztbesuch öfters masturbiert hat, weil ihr der Arzt so gefiel. Und daß sie das jetzt seit ein paar Monaten nicht mehr tun kann, weil sie einen Herzinfarkt hatte. Der Film hat mir schon ganz schön die Beine weggehauen damals. Ich war eben auch der Meinung, daß mit 50 oder 60 spätestens Schluß damit ist.
Sie gehen mit den Sexszenen in Ihrem Film sehr vorsichtig um. Sie schneiden kaum, erzählen fast alles in der Halbtotalen.
Ja, alles andere wäre voyeuristisch gewesen. Es ging mir darum, daß man zwar alles sehen kann, aber der Blick nicht geführt wird. Es gibt keine Schwenks, keine Details. Und genauso wichtig war mir, daß da nichts inszeniert ist. Sex sieht nicht immer schön aus. Wenn man plötzlich noch einen Slip oder die Socken ausziehen muß, dann ist das schon manchmal scheiße. Das gehört aber eben zum Leben dazu. Und genauso konkret wollte ich das haben.
Aber eine solche Szene in einer einzigen Einstellung zu drehen, das ist für die Schauspieler doch eine ziemliche Zumutung.
Richtig, durch die Improvisation haben wir immer lange Takes gehabt. Wir haben das immer in Echtzeit mitgefilmt – so ein Take dauert dann schon mal 15 Minuten. Und dann haben wir gemeinsam darüber gesprochen. Was natürlich auch für mich nicht ganz einfach war. Ich bin doch wesentlich jünger und habe natürlich eine gewisse Scham gehabt, einen großen Respekt und weitaus weniger Erfahrungen mit Sex. Klar. Aber wir haben schnell gegenseitiges Vertrauen gewonnen.
Noch viel wichtiger als der Sex ist in Ihrem Film das Verliebtsein. Haben Ihre Schauspieler Ihnen davon erzählt?
Sie haben Recht, das ist ein Film über die Macht der Liebe und über den Sieg der Unvernunft über das Rationale. Auch in einer Welt, die so durchorganisiert ist wie unsere, gibt es noch manchmal archaische, anarchische Kräfte, die unseren sorgsam gebauten Lebensentwurf in die Luft sprengen können. Auch noch ganz spät. Ich meine, der Schauspieler Horst Westphal ist jetzt 79 und hat einen 17jährigen Sohn. Das sagt ja auch schon einiges. Insofern war es natürlich sehr schön, im Vorfeld die Geschichten von meinen Schauspielern zu erfahren und sie teilweise in die Figuren mit einzuflechten. Schließlich hatten wir ja kein Drehbuch und konnten somit viel improvisieren und aus dem wahren Leben schöpfen.
Nicht untypisch für einen Dresen-Film. Man lobt Sie immer wieder für einen authentischen Erzählstil…
Ja, und ich habe damit ein ziemliches Problem, muß ich zugeben. Es gibt nichts, das weniger authentisch ist als das Kino. Das ist alles eine Fantasiewelt. Ein höchst subjektiver Blick auf die Welt – ganz egal, ob im Dokumentar- oder im Spielfilm. Das ist alles erfunden und von Menschen gemacht. Meine Filme sind vielleicht anders gestaltet als ein Hollywoodfilm, aber sie sind und bleiben gestaltet. Insofern sollte man es vermeiden, das mit der Wirklichkeit zu verwechseln. Im Kino gibt es keine Wirklichkeit. Im besten Falle gelingt es einem, die Wahrheit zu zeigen. Das bedeutet Realismus für mich: die Wahrheit sagen.
2008-09-10 12:53