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Auf Kurz geht’s los
Von Cornelis Hähnel
Das Warten war lang, doch jetzt wird es endlich wieder kurz. Für gut eine Woche steht Dresden zum 23. Mal ganz im Zeichen des internationalen Kurzfilms. In insgesamt knapp 40 Programmen werden um die 300 Filme die Zuschauer kurz aus dem Alltag entführen. Wie unterschiedlich diese Ausflüge ausfallen, zeigte dann gleich der Auftakt des internationalen Wettbewerbs mit seinem ersten von sechs Programmen.
Das Rennen um den Goldenen Reiter eröffnete der Norweger Robin Jensen mit seiner Komödie Lasses lodd i livet (»Lasses Los«), ein sympathischer Film über einen verplanten Loser, dessen Leben dank himmlischer Intervention in eine neue Bahn gelenkt wird. Jensen erzählt präzise und humorvoll auf die Pointe hin, ein idealer und dankbarer Auftakt für die erste Kurzfilmrolle. Doch schon beim zweiten Film wird deutlich, daß hier alle Facetten bedacht werden. Smolik von Cristiano Mourato ist ein Animationsfilm der besonderen Art. Irgendwo zwischen Experimentalfilm, Kalligraphie und Tanztheater läßt der Portugiese Striche über die Leinwand jagen, zwei abstrakte Charaktere miteinander agieren, kommunizieren, kämpfen. Jenseits eines klar narrativen Rahmens vertraut Mourato der Poesie der Tinte, die – sich auflösend – immer neue Formen annimmt, sich wandelt und mit einfachen Strichen emotionale Momente entstehen läßt. Ein wundersamer und in seiner Simplizität bestechender Film.
An die Kraft des Strichs bzw. des Stiftes glaubt auch der Franzose Bernard Tanguy, der mit seinem Film Je pourrais être votre grand-mère (»Ich könnte ihre Großmutter sein«) ins Preisrennen geht. Ein junger Mann schreibt ein Schild für eine Obdachlose mit eben jenem titelgebenden Satz. Als die alte Frau damit ihre Einnahmen steigern kann, haben plötzlich alle Obdachlosen dasselbe Schild. So beginnt der junge Mann, mehr Schilder zu schreiben, mit Texten wie »All we need is love + 1 Euro« oder »Finanzkrise«. Was nach einer lustigen Idee klingt, basiert auf einer wahren Begebenheit. Ein alter Freund von Tanguy hat mit dieser Aktion Aufsehen erregt, ihm ging es darum, daß die Obdachlosen von der Gesellschaft als Menschen angesehen werden. Tanguy hat beschlossen, daraus einen Film zu machen, um den Gedanken weiterzutragen. Und so hat er Je pourrais être votre grand-mère mit einem wohl dosierten Schuß Ironie, wie sie auch den Schildern immanent ist, realisiert – übrigens auch mit den realen Obdachlosen. Und es gelingt ihm, weder einen Betroffenheitsduktus, noch einen herablassenden Spaß-Guerillia-Ton anzuschlagen, stets hält er die Balance von Komik und Kritik und schafft so einen wunderbaren Denkanstoß, der bereits vor Sarkozys neuesten Bemühungen gegen Illegalität gedreht wurde.
Der wohl spannendste Film dieser ersten Rolle war Rita von Fabio Grassadonia und Antonio Piazza. Ein junges blindes Mädchen wird von der Mutter angekleidet. Als die Mutter kurz die Wohnung verläßt um Besorgungen zu machen, bricht ein Junge in die Wohnung ein, um sich vor ein paar Verfolgern zu verstecken. Was genau passiert ist, scheint Rita gar nicht so brennend zu interessieren. Sie hat etwas anderes vor.
Den beiden Regisseuren gelingt es, ein klaustrophobisches Gefühl zu vermitteln und Handlungsaspekte unklar zu lassen. Eben diese Uneindeutigkeit, das Unerklärende machen Rita so besonders. Potenziert wird die inhaltliche Seite durch ein klares visuelles Konzept. Fast die Hälfte des Films sehen wir nur Rita in einer Nahaufnahme. Das Geschehen um sie herum, die Mutter, den flüchtenden Mann, all das sehen wir nicht. Ähnlich wie Rita selbst bekommen wir nur Ahnungen von den Vorgängen, Eindeutiges gibt es nicht. Verzichtet wird nicht nur auf erklärende Worte, sondern auch auf erklärende Bilder. Zurück bleibt ein Gefühl der Handlung. Ein auf allen Ebenen sehr kluger und intensiver Film, der aufgrund seiner besonderen Erzählstruktur den Zuschauer noch lange beschäftigt. Von wegen Kurzfilm ist schnell vorbei. Das Filmfest Dresden beweist schon am ersten Tag das Gegenteil.
2011-04-13 16:32