Staubsaugervertreter
Von Matthias Grimm
Als Michael Crichton im Jahr 1969 seinen Roman »Andromeda« veröffentlichte, reagierte die Riege der alteingesesessenen Science Fiction-Autoren empört bis neidisch. Hatten diese, zumeist eine verschworene Clique habilitierter Naturwissenschaftler, bisher in einer Minderheit weltfremder Freaks ihre Zielgruppe gefunden, gelangte der fachfremde Neuling (Crichton ist Mediziner), der eher periphere Kenntnisse der Physik und Mathematik mit sich brachte, auf Anhieb in die Bestseller-Liste und verhalf dem Genre im Alleingang zum Sprung aus dem Schmuddeldasein.
Dabei war Crichtons Werk im engen, damaligen Sinne gar kein echter Science Fiction, also eine soziologisch-technische Utopie, sondern etwas, das heute den Subgenre-Begriff »Science Thriller« trägt: ein fiktives Hinterfragen aktueller technischer Errungenschaften und deren Möglichkeiten – eine Utopie der Gegenwart sozusagen. Dazu war »Andromeda«, wie allgemein Crichtons frühen Werke »Congo« oder »Eaters of the Dead«, eine Liaison aus Sachbuch und Roman, die auf populärwissenschaftliche Weise gegenwärtige technische Trends – mit utopischen Fantasien vermengt – darstellt und diese in eine nur rudimentäre Handlung zwängt; ein Konzept, das er auch bei seinen späteren Werken beibehält, aber zugunsten einer geschlossenen und schlüssigen Narration völlig aufweicht.
Ein sekundärer Handlungsfaden, der sich etwa, gleich einem essayistischen Kommentar, durch »Disclosure« zieht, ist die Darstellung gegenwärtiger wie zukünftiger Gefahren der Virtual Reality, und »Rising Sun« analysiert die Auswirkungen digitaler Überwachungsmaschinerien – inklusive der Möglichkeiten, diese zu überlisten. Seine Romane enthalten grundsätzlich eine Bibliographie, viele auch Graphiken und Statistiken.
Andromeda – lange bevor es »Fake Dokus« gab – basiert lose auf geheimen Protokollen einer Forschungseinrichtung, dem Projekt »Andromeda«, das die Möglichkeiten einer Epidemie durch extraterrestrische Viren untersucht, und ist von einem dementsprechend protokollarischen Stil durchsetzt, der immer wieder Realität mit Fiktion vermengt, und dadurch fast zwanghaft darauf hinweist, daß die angedachten Bedrohungen nicht Fiction sondern Science sind – oder zumindest sein könnten. Mit der Verfilmung von
Andromeda begeht Regisseur Robert Wise nicht den Fehler, dem andere Crichton-Verfilmer unterlagen, etwa Barry Levinsons
Sphere oder Frank Marshalls
Congo, die den belehrenden Grundton des Buches für die ansonsten läppische Handlung aufgaben, nein, er zieht, genau wie Crichton, genau daraus seine Kraft.
Den halben Film über tritt die eigentliche Geschichte, der Kampf einer Handvoll Wissenschaftler gegen den tödlichen Virus, der durch eine Raumkapsel auf die Erde gelangt ist, in den Hintergrund, um die Charaktere dabei zu beobachten, wie sie durch nicht enden wollende Reinigungsprozeduren, Desinfizierungsbäder und Dekontaminationskammern wandern. Zynisch könnte man sagen, der Film sei eigentlich eine Anleitung zur extremen Körperpflege.
Dialoge haben haben vorwiegend nur eine einzige Funktion, nämlich technische Apparaturen und Vorgänge zu erklären. Der vordergründige Sinn dieser quälend langen Aufnahmen, nämlich dem Zuschauer den aktuellen Forschungsstand in Sachen Mikrobiologie, Sicherheits- und Reinraumtechnik, letztere stellvertretend für moderne Mikrochipproduktion, näherzubringen, verfehlt den tieferliegenden metaphorischen und nur atmosphärisch faßbaren Hintergrund dieser Szenen: Wenn die Wissenschaftler im Verlauf des Films immer tiefer in die Anlage vordringen, dabei ihre Körper entblößen und physische wie psychische Qualen erleiden, während sie handlungsunfähig der Katastrophe entgegenwarten, ist der illustrierte Aufwand, der dazu notwendig ist, um Schutz zu finden, ein Verweis auf die Macht und Allgegenwärtigkeit der Gefahr, die dort draußen lauert. Dies, als exzessiv zur Schau gestellter militärisch-wissenschaftlicher Overkill, wird bewußt ins Absurde und darüber hinaus gesteigert, weil der Feind selbst von nur mikroskopischer Größe und ohne Intelligenz, Waffen und Technik ist. All das filmt Robert Wise in sterilem Weiß und mit beklemmend klaustrophobischem Schärfenbereich.
Die Technikfeindlichkeit, die sich durch das gesamte Oeuvre Crichtons zieht, zeichnet hier wie in keinem anderen seiner Werke die Wissenschaft als Martyrium, als Fluch, dessen einzige Bestimmung es ist, andere Flüche, die sie hervorgerufen hat, zu verhindern. So ist es dann am Ende auch die Atombombe, die gleichermaßen als letzte Rettung gedacht, die eigentliche Katastrophe erst heraufbeschwört.
Andromeda, und das macht vermutlich den entscheidenden Unterschied gegenüber der alteingesessenen, habilitierten Science Fiction aus, sucht Utpoisches nicht im Irrealen von Zukunft und Übernatürlichem. Er erklärt die Gegenwart selbst, mit ihrer undurchschaubaren, entmenschlichten Technik, für irreal.
1970-01-01 01:00