— — —   DER SCHNITT IST OFFLINE   — — —

Amateur

USA 1994. R,B: Hal Hartley. K: Michael Spiller. S: Steve Hamilton. M: Ned Rifle, Jeffrey Taylor. P: American Playhouse u.a. D: Martin Donovan, Isabelle Huppert, Elina Löwensohn, Damian Young u.a.
105 Min. CI ab 10.11.94

Am Tresen des Daseins

Von Daniel Bickermann Ein Mann sitzt in einer fremden Badewanne. Er ist auf der Straße aufgewacht, ohne Namen und ohne Erinnerung, dann hat ihn eine schüchterne Porno-Autorin aufgegabelt, die ihm gerade in nüchternen, kurzen Feststellungen erzählt hat, sie sei Nymphomanin, die Jungfrau Maria wäre ihr mehrmals erschienen, sie sei gerade nach 15 Jahren aus dem Kloster gekommen und sie hätte noch nie Sex gehabt. Der Mann, ohne sichtbare Reaktion auf diese doch etwas abwegige Geschichte, fragt das Offensichtliche: »Wie können Sie Nymphomanin sein, wenn Sie noch nie Sex hatten?« Darauf sie: »Ich bin wählerisch.«

Manche Dialoge werden nicht geschrieben, sie werden von Hal Hartley einfach aus dem Stil-Himmel gepflückt. Es wird wirklich langsam Zeit, daß irgendjemand diesen außergewöhnlichen Filmemacher wiederentdeckt, und Deutschland könnte da ruhig mal einen Anfang machen – immerhin lebt der einstige New Yorker Indie-Pionier seit Jahren in Berlin und dreht hier weiterhin Filme, die auch auf internationaler Ebene ihresgleichen suchen: Kürzlich erst war es das überraschende Sequel Fay Grimm (ein Nachfolger zu seinem legendären Kult-Frühwerk Henry Fool) mit Parker Posey, James Urbaniak, Jeff Goldblum und Jasmin Tabatabai. Eigentlich nicht zu fassen, daß da einer der begabtesten Filmemacher seiner Generation, der im letzten Jahrzehnt ausschließlich exquisite Werke mit Darstellern wie Sarah Polley, Julie Christie, Helen Mirren und Maria Schrader abgedreht hat, kaum noch Beachtung findet.

Amateur ist zusammen mit Fay Grimm und seinem herrlichen Cannes-Gewinner Simple Men ein wunderbarer Einstieg in den ebenso komischen wie melancholischen Kosmos dieses eigenwilligen Wunderkindes: Neben den üblichen Hartley-Schauspielern Martin Donovan, Elina Löwensohn und Damian Young gab sich 1994 für Amateur auch Isabelle Huppert die Ehre. Ihre natürliche Trockenheit fügt sich ganz wunderbar in den wortkargen, minimalistischen Schauspielstil ein, der für Hartley-Produktionen typisch ist: Die Figuren sprechen immer ein wenig anders, scheinbar emotionslos und immer staubtrocken werde da Perlen des Deadpan-Humors abgeschossen, meist in schnellen, einsilbigen Wortwechseln (eine Art der Dialogführung übrigens, der die deutsche Synchronisation zur Abwechslung mal erstaunlich gut bekommt). Nie sieht man eine Schuß/Gegenschuß-Auflösung, weil sich zwei Figuren niemals gegenüberstehen – fast in jedem Hartley-Film sitzen sie am Tresen eines Cafés, und einer dreht dem anderen den Rücken zu, oder beide sitzen Seite an Seite. So kann Hartley seine ebenso langen wie pointierten Dialogwechsel ohne ständige Schnitte in zusammenhängenden, langen Einstellungen drehen.

Da sich Hartley dabei besonders gerne an Genre-Stoffen abarbeitet (sei es der Märchenfilm in No Such Thing oder der Agententhriller in Fay Grimm), ergeben sich absurde Stilkombinationen, die in ihren besten Momenten wirken, als hätte Aki Kaurismäki einen Actionkrimi gedreht. In Amateur sind es die Konventionen des Film noir, die Hartley aufgreift und ad absurdum führt, komplett mit einem Anti-Helden ohne Gedächtnis, aber gefährlicher Vergangenheit, einer Femme Fatale, den internationalen Machenschaften eines Porno-Rings und der vergeblichen Suche nach Erlösung aus einer Welt von Verrat und Skrupellosigkeit.

Unter dem Pseudonym Ned Rifle schrieb das Multitalent Hartley dazu auch wieder seine eigene Filmmusik, dieses Mal nicht in Form trauriger Sologitarren-Akkorde, sondern mit Hilfe schwebender Streicher und ätherischer Chöre – vielleicht ein Hinweis auf die religiösen Untertöne, die das Werk durchziehen und die Hartley später mit seinem Digitalvideo-Projekt Book of Life wieder aufnehmen sollte. Da spielt Martin Donovan, der Mann aus der Badewanne, dann den wiedergekehrten Jesus Christus, der in einem kleinen Café am Tresen sitzt und sagt, daß er keine Lust hat, die Welt zu beenden und daß ihn all die Propheten am Arsch lecken können. Er wird es ausdruckslos sagen und dabei seinem Gegenüber den Rücken zuwenden, und man wird sich wieder freuen über diesem beinahe vergessenen Filmemacher namens Hal Hartley. 1970-01-01 01:00
© 2012, Schnitt Online

Sitemap