Family Values
Von Nils Bothmann
Was ist Schönheit? Eine einfache und doch komplizierte Frage, die American Beauty immer wieder stellt – und unbeantwortet läßt. Denn Sam Mendes’ gefeiertes Spielfilmdebüt ist eher an Fragen als an Antworten interessiert, die Verweigerung eines klaren Standpunktes ist gar einer der Hauptaspekte, die das Werk strukturiert. American Beauty will nicht Partei ergreifen, sondern will zeigen und den Zuschauer selbst entscheiden lassen.
Im Mittelpunkt der Erzählung steht der frustrierte Angestellte Lester Burnham, unterdrückt von Frau, Tochter und Boß, der eines Tages seinen Job hinwirft und von da an so frei und ungezwungen lebt, wie er nur möchte. Doch selbst diese Revolution stellt American Beauty nicht als den Befreiungsschlag aus: Lesters Aktionen haben Konsequenzen für sein ganzes Umfeld, sein Leben nach dem Motto des gesunden Egoismus stürzt andere Familienmitglieder in noch tiefere Krisen. Es bleibt die Frage, ob Lester den richtigen Weg einschlägt, nur weil er zumindest besser als der eintönige Alltag ist.
Doch nicht nur über seine Hauptfigur läßt American Beauty den Zuschauer frei urteilen: Lesters Gattin mag ihn anfeinden, mag gelegentlich etwas oberflächlich sein und doch erkennt man durchaus die Gründe für ihr Verhalten. Die Tochter gibt sich mißverstanden, weigert sich gleichzeitig jedoch auch, mögliche Hilfe ihrer Eltern anzunehmen usw. Und wieder wird klar, daß dies die große Leistung von American Beauty ist: den Zuschauer als mündiges Subjekt zu sehen, ihn selbst entscheiden zu lassen, wen er wie beurteilen will. Dabei rechnen Sam Mendes und Drehbuchautor Alan Ball auf gewitzte Weise, meist in pointierten Dialogen, mit dem American Dream und den traditionellen Familienwerten ab. Ausgerechnet der erzkonservative Nachbar hat die meisten Leichen im Keller, das traditionelle gemeinsame Abendessen der Burnhams ist eine Farce und Fassade, wie American Beauty nach Lesters Lebensänderung klarstellt. Selbst Cheerleaderin Angela, das klassische US-Schönheitsideal, entspricht nicht der Rolle, in die man sie drängen will. Oder doch? Entscheiden Sie selbst.
2008-05-23 12:24