Der Tod eines Schuhverkäufers
Von Patrick Hilpisch
Schmerzhaft, häßlich, seelenlos – aus der Perspektive David Finchers (und nicht nur aus seiner) gleicht die Entstehungsgeschichte von
Alien 3 der Geburt des titelgebenden Xenomorphen. Nach zwei erfolgreichen und wegweisenden Vorgängern sollte mit dem dritten Teil der Science-Fiction-Saga ein würdiger und ebenso kassenträchtiger Schlußpunkt gesetzt werden. Doch bereits bevor das erste Bild vom Anfang des Endes des
Alien-Franchise belichtet wurde, lief einiges schief beim erfolgsverwöhnten Produzententeam und in der Chefetage der Fox Studios.
Die Angst, die Trilogie mit einem Mißerfolg abzuschließen, war allgegenwärtig. Die Diskussion, wie viel Neues in das thematisch und ikonographisch ausführlich abgesteckte
Alien-Universum hineingebracht werden durfte, lähmte die Verantwortlichen. Der Retter in der Not sollte ein unverbrauchtes, innovatives Talent am Regie-Himmel sein – genauso wie es bei Ridley Scott und James Cameron der Fall gewesen war.
Fünf Drehbuchversionen (u.a. von Neuromancer-Autor William Gibson), vier potentielle Regisseure (darunter Renny Harlin sowie Ridley Scott himself) und Produktionskosten in zweistelliger Millionenhöhe waren bereits verschlissen, bevor David Fincher 1991 auf dem Regiestuhl des dritten Teils Platz nahm. Bislang hatte sich der 29Jährige nur mit Musikvideos und Werbefilmen einen Namen gemacht. Doch mit frischen Ideen sowie einer ordentlichen Portion Ehrgeiz und Selbstbewußtsein konnte der Jungregisseur die Produzenten davon überzeugen, ihm die künstlerische Verantwortung über das Prestige-Projekt zu übertragen.
Ein brauchbares ausgearbeitetes Drehbuch war zu diesem Zeitpunkt noch immer nicht vorhanden. Doch die Zeit drängte, da ein Starttermin bereits festgelegt war und die Kosten der Pre-Production-Phase immer weiter stiegen. Das Studio kürzte folglich die Drehzeit in den britischen Pinewood Studios um drei Wochen und legte auch beim Special-Effects-Budget den Rotstift an. Mit 40 Seiten Skript im Rücken begann David Fincher die Dreharbeiten, die ihn später zu der Aussage trieben, er würde lieber an Krebs erkranken, als einen weiteren Film für ein großes Studio zu machen.
Eine Frage muß dem Regisseur während der Produktionsphase immer wieder durch den Kopf gegangen sein: Wie führt man Regie, wenn noch nicht klar ist, wie der Film letztendlich aussehen soll? Denn während er in England unter enormem Zeitdruck vier Kamerateams, die restliche Crew und Besetzung koordinierte, trugen Autoren, Studiobosse und Produzenten ihre Grabenkämpfe über das finale Drehbuch und die Finanzierung aus. Änderungen und Streichungen wurden täglich per Fax aus Amerika durchgegeben und kurzfristig gedreht – oder eben nicht gedreht.
Fincher mußte also zaubern, sich in seinen jungen Jahren als flexibler Filmemacher und kreativer Visionär erweisen. Dem folgend setzte er sich vehement für eine der Saga adäquate Endfassung des Skripts ein. Mit Erfolg. Das umstrittene, aber letzten Endes schlüssige Finale mit seiner wuchtigen nihilistischen Aussage ging zu einem nicht zu unterschätzenden Anteil auf das Konto des Kinodebütanten. Die Löcher in der Handlung hingegen hatte das immer ungeduldiger werdende Studio zu verantworten. Der Film sollte fertiggestellt werden und das möglichst schnell und kostensparend.
»Warum hört ihr überhaupt auf den Schuhverkäufer?« – diese Frage soll Co-Autor David Giler dem damaligen Studio Executive der 20th Century Fox, Roger Birnbaum, gestellt haben. Giler, der bei allen vier Teilen der
Alien-Saga als Produzent tätig war, bezog sich dabei auf einen Sportschuh-Werbespot, den Fincher für Nike produziert hatte. Und mit dieser Bemerkung machte er außerdem klar: Die Produzenten wollten zu diesem Zeitpunkt keinen Denker auf dem Regiestuhl, sondern einen Macher. Bis zur Fertigstellung des Films sollte dies Fincher immer wieder schmerzhaft vor Augen geführt werden. Er stand unter ständiger »Bewachung« des Studios, die ausführenden Produzenten machten ihm das Leben schwer und brachen sogar vorzeitig die Dreharbeiten ab.
Trotz dieser katastrophalen Produktionsbedingungen und der andauernden Intervention der Geldgeber trägt
Alien 3 eindeutig die künstlerische Handschrift seines Regisseurs. Und das kann man dem heute oft als »Ausnahmeregisseur« apostrophierten Filmemacher gar nicht hoch genug anrechnen. Fincher zeigt in seinem ersten Spielfilm eindrucksvoll, wozu er visuell und konzeptionell fähig ist. Sein Gespür für Kadrierung, Szenenaufbau und Lichtdramaturgie, sein Faible für ausdrucksstarke und symbolträchtige Einstellungen – all das, was seine späteren Filme auszeichnet, bringt er in
Alien 3 bereits meisterhaft auf die Leinwand.
David Finchers Erstling wurde immer wieder Mangel an Substanz, Inkohärenz und Verrat am Geist der Serie vorgeworfen. Doch nachdem Fincher mit seinen folgenden Filmen zu einem einzigartigen Siegeszug in Hollywood angesetzt hatte und die Entstehungsgeschichte des Films immer transparenter wurde, wuchs auch die Wertschätzung für
Alien 3. Finchers Ansatz ging zurück zu den Anfängen des
Alien-Universums und führte es in seiner Trostlosigkeit zu einem schlüssigen Kollaps. Und dafür fand er eine Vielzahl adäquater Bilder, Motive und Stimmungen.
Es wurde immer offensichtlicher, daß dieser erst 29jährige Filmemacher ein höchst idiosynkratisches, thematisch dichtes und komplexes Filmwerk geschaffen hatte. Die defätistische Weltsicht, die der Regisseur in seinem Film abbildete, schreckte zunächst viele ab. Sie fand allerdings später viele Anhänger und nahm/nimmt in Finchers Œuvre einen zentralen Platz ein.
Allen Rückschlägen, Erniedrigungen und Kritiken zum Trotz hat David Fincher an seiner kreativen Vision festgehalten. Und wäre beinahe daran verzweifelt und zerbrochen. Für den Regisseur schien jedoch einer der zentralen Sätze aus
Alien 3 zu einer Art schicksalhaftem Mantra geworden zu sein: »Jeder Tod, ganz gleich wie klein er ist, ist auch der Beginn eines neuen Lebens, eines Neuanfangs.« Den angeblichen künstlerischen Tod, den der ehemalige »Schuhverkäufer« durch seine Version des
Alien-Universums erlitten hat, hat er genutzt, um als selbstbewußter Regisseur gestärkt daraus hervorzugehen. Denn ohne die bitteren Lehren, die Fincher aus
Alien 3 gezogen hat, gäbe es wohl nicht die scharfsinnige Kompromißlosigkeit von
Seven, die kühle Eleganz von
The Game oder die anarchische Leichtigkeit von
Fight Club.
2009-04-16 12:23