Die halbe Miete
Von Daniel Bickermann
Man hat es angesichts der Actionhelden der 80er und 90er und angesichts der zwanghaften Happy Ends der letzten Jahrzehnte längst vergessen, aber in seiner goldenen Komödienzeit war Hollywood tatsächlich mal ein Ort, wo man Verlierer feierte, anstatt immer nur den Siegern hinterherzujubeln. Es ist auffällig, daß es vor allem europäische Exil-Regisseure waren, die diese eher unamerikanische Sichtweise in die Staaten brachten. Ernst Lubitsch, der den stilvollen Kleingaunern ein Denkmal setzte, den polnischen Schmierenkomödianten und den lebenslangen Tunichtguten und romantischen Trotteln, war einer der Väter dieses Trends, und einer seiner gelehrigsten Schüler war bekanntlich Billy Wilder, der mit Jack Lemmon später den perfekten Verlierer fand: Als cineastischer Charlie Brown befand er sich im ständigen Zustand der hektischen Verzweiflung, aber Resignation kam für ihn auch nicht so richtig in Frage.
Der makelloseste Film der beiden ist sicherlich der perfekt inszenierte und mit brillantem Timing gespielte Klassiker Manche mögen’s heiß; und der überraschendste ist sicherlich die 1968 entstandene Ferienromanze Avanti, Avanti, die im Geist des Erscheinungsjahres mit Körperkult und Jugendwahn aufräumt und Lemmon ganz ungeniert beim Nacktschwimmen zeigt. Der schönste Film der beiden aber, da wird es wenig Nachdenken geben, ist Das Appartement. Es ist eine tragikomische Ode an das große Unglück und das kleine Glück, in dem sich Selbstmordversuche, Raubtierkapitalismus, Sexismus, Betrug und Arbeitslosigkeit die Klinke in die Hand geben. Schon Frank Capra wußte, daß die berührendsten Komödien da anfangen, wo sich ein ruinierter Mann von der Brücke stürzen möchte. Auf dem Geländer über dem Abgrund setzt die Leichtfüßigkeit erst richtig ein.
Und welch eine Leichtfüßigkeit! Lemmon scharwenzelt als verhinderter Karrierist durch das anonyme Großraumbüro und um die hübsche Aufzugsdame Ms. Kubelik, bevor er zu seiner Verbitterung feststellen muß, daß sein rasanter Aufstieg in die oberen Etagen der Firmenleitung mit dem Preis versehen kommt, daß die Vorstände seine Junggesellenwohnung als anonymes Liebesnest nutzen dürfen und daß besagte Ms. Kubelik sich hoffnungslos dem schmierigen Obermacker Sheldrake verschrieben hat. Es ist die unabwendbare Ballade vom Kleinen Mann, dessen Anstand sich trotz einiger grammatikalischer und kulinarischer Spleens am Ende durchsetzt, aber niemand erzählt sie mit so viel Herz, Wärme und vor allem Mut zum echten Schmerz wie Billy Wilder. Egal, ob als Junggeselle an Weihnachten, als Arbeiter inmitten der automatisierten Anonymität oder als einzig Traurige in einem Saal voller Silvestergäste – selten wurde Einsamkeit im Film so trostlos und treffend geschildert wie hier. Und selten brachten die kleine Momente menschlicher Gemeinschaft, das gemeinsame Spaghettikochen, Aufzugfahren, Kartenspielen, so große Befriedigung.
Daß ein so kleiner, feiner Film einst fünf Oscars erhielt, unter anderem für Drehbuch, Schnitt, Regie und als bester Film (während Lemmon und MacLaine schmählich leer ausgingen), zeigt ein weiteres Mal, wie hoch die Verlierer noch 1960 im Kurs standen. Man wünscht sich sehnlichst zurück nach den Zeiten, da der Quarterback am Schluß nicht den entscheidenden Touchdown wirft, der Politiker die entscheidende Wahl gewinnt oder irgendwer zumindest eine strahlenden moralischen Triumph davonträgt. Am Ende von Das Appartement ist für die Beteiligten eigentlich fast alles schlechter als zu Beginn. Die Karriere ruiniert, die titelgebende Wohnung verloren, die Zukunft ungewiß – aber immerhin haben sich die einsamen Geister der Verlierer gefunden und mischen die Karten für ein neues Spiel und ein neues Jahr. Wer weiß, vielleicht gewinnen sie ja dieses Mal.
2009-10-27 14:50