A Tale Told by an Idiot, Full of Sound and Fury
Von Asokan Nirmalarajah
Goodfellas, Martin Scorseses ambitionierte Verfilmung des auflagenstarken Tatsachenromans »Wiseguy« (1986) vom New Yorker Kriminalreporter Nicholas Pileggi, zählt zu den populärsten Filmen der letzten zwanzig Jahre. Das aufregende Crime-Drama über den kriminellen Werdegang des Mafiakomplizen Henry Hill, der nach drei Jahrzehnten der Treue Mitglieder der Lucchese-Gang ans FBI verriet, gilt unter Kritikern wie Zuschauern als ein Meisterwerk des amerikanischen Gangsterfilms, lediglich überragt von den ersten beiden
Der Pate-Filmen Francis Ford Coppolas aus den 1970er Jahren. Selbst David Chase, Schöpfer der hoch gerühmten HBO-Gangsterserie
The Sopranos (1999-2007), hat von Scorseses Film wiederholt als unmittelbare Inspiration, als seine »Bibel« gesprochen. Wehe also den Kostverächtern, die es wagen sollten, sich der kollektiven Euphorie um
Goodfellas zu entziehen und in irgendeiner Form Einspruch zu erheben. Handelt es sich doch um einen Film, der in punkto Erzähltempo gleich mit dem Vorspann auf der Überholspur startet und über die epische Laufzeit von fast zweieinhalb Stunden nie den Fuß vom Gaspedal nimmt. Ist er doch montiert wie ein Trailer, fotografiert und ausgeleuchtet wie der Fiebertraum eines Aufmerksamkeitsgestörten und musikalisch arrangiert wie eine geschmeidige Oldie-Hitparade. Hat er doch eine ganze Heerschar an Filmemachern damit begeistert und inspiriert, daß er ein ganzes Arsenal an filmischen Mitteln auffährt, um eine dichte, detailreiche Milieustudie vorzulegen, die mit roher Authentizität kokettiert und durch virtuose Inszenierungswut mitreißt. Mit schwindelerregender Leichtigkeit wird hier zwischen sensationslüsternem Dokudrama und Aufsehen erregenden ›set-pieces‹ gewechselt, die immer wieder drohen, die turbulente Handlung aus den Fugen zu heben, aber letztlich doch im Dienste derselben stehen. Was sich bisher aber nur wenige – wie etwa die Kritikerpäpstin Pauline Kael in einer zeitgenössischen Besprechung im »New Yorker« – einzugestehen trauten, ist, daß sich der atemberaubende Bildersturm von Scorseses vielleicht berühmtestem Werk um ein Vakuum dreht.
Erzählt wird
Goodfellas nämlich, getreu der Vorlage, von den Protagonisten selbst: Henry Hill und (zu einem kleineren Teil) seine Frau Karen sind unsere Fremdenführer durch das Milieu der New Yorker Mafia. Ihren laufenden Off-Kommentar nutzt der Film dazu, den attraktiven Insider-Blick zu reproduzieren, der bereits Pileggis Buch zum Bestseller machte. Das damalige Novum von »Wiseguy« bestand schließlich darin, daß der Autor relativ ungefiltert und mit einigen wenigen kontextuellen Stützten der sehr unterhaltsamen Rhetorik eines italoamerikanischen Berufskriminellen freien Lauf ließ. Diese Strategie funktioniert im Film, trotz einer gesunden ironischen Distanz zum Protagonisten, aber nur bedingt. Ein moralisches Vakuum als unzuverlässige Erzähler- und Identifikationsfigur ins Zentrum zu stellen ist für Scorsese keine neue Strategie. Doch anders als bei Travis Bickle (
Taxi Driver), Jake LaMotta (
Wie ein wilder Stier) oder Rupert Pupkin (
King of Comedy), überzeugt Henry Hill nicht wirklich als Unschuldsfigur. Henry ist sicherlich ein weiterer unbewußt selbstdestruktiver Scorsese-Antiheld, weckt jedoch weder Sympathie, noch Empathie beim Zuschauer. Wenn überhaupt ist Scorseses Opus magnum etwas zu distanziert, und dabei auch zu verliebt in seinen eigenen Ansatz. Im Buch erzählt Hill im charmanten Straßenjargon die klassische Geschichte eines Jugendlichen, der durch das organisierte Verbrechen in seiner ethnischen Nachbarschaft auf die schiefe Bahn gerät, nur um nach einem aufregenden Leben als Mitläufer der Cosa Nostra mit einiger Ernüchterung im Zeugenschutzprogramm des FBI zu enden. Scorsese, als kundiger Filmliebhaber, erkannte in Henrys Biographie eine ironische Variation des Rise-and-Fall-Plots des klassischen Gangsterfilms der frühen 1930er Jahre und die Möglichkeit, einen Film nicht so sehr über die Persönlichkeit und die kriminellen Machenschaften eines Gangster als über dessen Alltag und Lebensstil zu drehen. So startet
Goodfellas in medias res und rast im Anschluß von einer Vignette zur nächsten, seien sie nun komischer oder dramatischer, romantischer oder prosaischer, sensibler oder brutaler Natur. Nicht selten sind sie alles auf einmal. Die hektische, aber stets meisterhaft kontrollierte filmische Gestaltung dieser Episoden konzentriert sich dabei vor allem auf die nervöse Grundstimmung des glamourösen, aber gefährlichen Gangsterdaseins. Indes sorgen abrupte Kameraschwenks, subtile Zeitlupen, Sprungschnitte, eingefrorene Bilder, elegante Steadicam-Fahrten und ein überwältigender wall-to-wall-Soundtrack populärer Rock- und Popsongs der jeweiligen Ära dafür, daß die Zuschauer der dramaturgisch recht unorthodoxen, wenn nicht gar chaotischen Handlung dennoch aufmerksam folgen.
Gemeinhin rezipiert als Scorseses realistisch-nüchterner Abgesang auf die romantisch-verklärenden Gangsterepen Coppolas, der im selben Premierenjahr mit
Der Pate – Teil III einen weit melancholischeren Abgesang auf seine eigenen Klassiker herausbrachte, ist
Goodfellas nicht unbedingt der erste Film des Genres, der mit dem Glamour des Gangsters bricht, indem er ihn domestiziert. Was ihm aber noch radikaler gelingt als früheren Genrebeiträgen ist eine Distanzierung von seinen kriminellen Protagonisten, die nicht aufgrund ungünstiger Umstände zu Gangstern werden, sondern weil sie Freude daran haben, das Gesetz zu umgehen und anderen Leuten zu schaden. Sie haben nichts mehr gemein mit den tragischen Antihelden der
Paten-Reihe, die sich vergeblich darum bemühen, ihre Familie von der Mafia zu lösen, die sie ökonomisch erhält. Diese Ambivalenz besteht nicht bei Henry Hill, aus dessen Sicht man einer regelrechten Fetischisierung der klassischen Gangsterfigur beiwohnt. Die erotisch aufgeladene Art, wie die Kamera über Schuhe, Kleidung, Autos, Wohnungen, Frauen und Waffen der Gangster gleitet, vermittelt Hills infantiles Bedürfnis nach exzessivem Konsum, das er später mit seiner Frau Karen teilt, die für ein üppiges Taschengeld ihrem Gangstergatten gern mal mit Fellatio in der Küche dankt. In der Ausstellung des narzisstischen Begehrens nach immer mehr Geld erschöpft sich allerdings auch schon die pseudo-soziologische These des Films, der prächtig unterhält, aber einen wie den Protagonisten mit einem Gefühl der Leere zurückläßt.
Im Unterschied zu
The Sopranos, die im Anschluß nicht nur einen Großteil der Besetzung engagieren würde, sondern auch viele Aspekte, die der Film nur anschneidet, eingehender verhandeln würde, bleiben die Milieupersönlichkeiten in
Goodfellas recht blaß. Durchweg gut besetzt und engagiert gespielt, sind es die Hauptdarsteller, die nicht wirklich überzeugen können. Ray Liotta bemüht sich redlich als Sympathieträger des Films neben einer Riege unberechenbarer Psychopathen, deren Brutalität er zuweilen verblüfft registriert, aber nie wirklich reflektiert. Als Gangster bleibt Henry Hill ein Idiot, als Erzähler ein Schwätzer, der mit seiner effektvoll im Film bebilderten Rhetorik immer wieder von seiner eigenen Schuld abzulenken versucht. Auch Robert De Niro läuft hier mit seinen uninspirierten Manierismen auf Autopilot. Einzig Joe Pesci sorgt für Unterhaltungswert als grotesker Impulsmörder, darf die meiste Zeit aber nur diese eine Facette der schrägen Figur ausspielen.
Goodfellas mag sich vordergründig als ein »cautionary tale« präsentieren, das ebenso von den Verlockungen, als auch den Gefahren des Gangsterlebens erzählen will. Doch die überhebliche Distanz, die der Film gegenüber seinen Figuren einnimmt, bringt es auch mit sich, daß man keine von ihnen wirklich ernst nehmen will, vor allem nicht den Idioten, der die packende Mär erzählt.
2011-01-14 15:32