Jedermanns Lieblingsprügelknabe
Von Asokan Nirmalarajah
Die Popularität, die Michael Douglas in den 1980er und 90er Jahren als einer der meistbeschäftigten »leading men« Hollywoods genoß, ließe sich mit seinem Gespür für kontroverse, publikumswirksame Filmstoffe erklären. Bereits als Produzent systemkritischer Filme wie
Einer flog übers Kuckucksnest (1975) und
Das China-Syndrom (1979) war der charismatische Fernsehschauspieler, den man in den 1970er Jahren, vor seinem Durchbruch als Kinostar, vor allem für eine Hauptrolle in
Die Straßen von San Francisco und als den Erstgeborenen der Leinwandikone Kirk Douglas kannte, ein Garant für reichlich Gesprächsstoff und volle Kassen. Sein Kinoerfolg ist aber auch auf die Bereitschaft des Mimen zurückzuführen, sich ab Ende der 1980er Jahre wiederholt als einen Repräsentanten des modernen weißen Amerikaners aus der Middle- bis Upper-Class besetzen zu lassen, als jedermanns Lieblingsprügelknaben. Douglas glänzt nämlich vor allem dann, wenn er privilegierte, egoistische Misanthropen verkörpern darf, die mit ihren skrupellosen, rücksichtslosen Handlungen den Groll ihrer Mitmenschen auf sich ziehen. So wurde er in den Filmen und nicht selten auch in ihrer anschließenden Rezeption zum Sündenbock für gekränkte Single-Frauen (
Eine verhängnisvolle Affäre, 1987), beleidigte Japaner (
Black Rain, 1989), entrüstete Homosexuelle (
Basic Instinct, 1992) und verärgerte Feministinnen (
Enthüllung, 1994). Mit seinem elegant-arroganten, subtil-selbstironischen Spiel scheint Douglas geradezu prädestiniert, ausgemachte Scheusale zu spielen, die für ihre Persönlichkeitsdefizite reichlich Prügel beziehen müssen, bis sie eine innere Läuterung erfahren dürfen. In David Finchers verspielter Hitchcock-Hommage
The Game (1997) ist es aber so, als müsse Douglas Prügel für alle seine vorherigen Rollen einstecken, nicht zuletzt für seine famose Darstellung des Unternehmensplünderers Gordon Gekko in
Wall Street (1987). Und in der Tat wirkt Finchers Film über einen Finanzinvestor, der für seine Sünden durch die Mangel genommen wird, über weite Strecken wie die eigentliche, weit unterhaltsamere Fortsetzung zu Oliver Stones erst jüngst schwach fortgesetztem Finanzdrama.
Veröffentlicht zwischen seinen zwei kontrovers aufgenommenen Kultfilmen
Sieben (1995) und
Fight Club (1999) und lange nach seinem nie ganz verdauten Kinodebüt
Alien 3 (1992), handelt es sich bei
The Game um so etwas wie den vergessenen Fincher-Film der 1990er Jahre. Ein böshumoriger Psychothriller im eleganten Neo-Noir-Gewand, dessen geradlinige Geschichte erfrischend frei ist von dem thematischen Ballast von Finchers restlichem 90er-Jahre-Schaffen. Das Vergnügen dieser perfekt konstruierten kleinen Fingerübung des Regisseurs liegt dabei in ihren Metamomenten. Abgesehen von seinen visuellen Bezügen auf psychologische Dramen um Höhenangst und Paranoia wie
Vertigo (1958) und
Der Dialog (1974), ist es die selbstreflexive Ausstellung der Architektonik des undurchsichtigen Handlungsgerüsts, an der der Film interessiert ist. Ähnlich wie bei seinem späteren Suspense-Thriller
Panic Room (2002) geht es Fincher weniger um die Logik und Plausibilität der hanebüchenen Story, die er erzählt, als um die Konfrontation der Zuschauer mit der filmischen Manipulation, der sie ebenso ausgesetzt sind wie der Protagonist des Films der Manipulation durch die ominösen Mächte hinter dem titelgebenden Spiel.
Blendend gespielt von Douglas, handelt es sich bei diesem Antihelden nicht nur um einen reichen, aber einsamen Widergänger seines unglücklichen Vaters, der einst den Freitod gewählt hat, sondern auch um einen modernen Ebenezer Scrooge, geliebt von seinen Verwandten, doch selbst unfähig zu lieben. Wie die meisten Fincher-Protagonisten ist auch Nicholas Van Orton ein traumatisierter, einzelgängerischer Leidender mit dem verdrängten Wunsch nach Erlösung. Das Problem besteht darin, daß sie sich ihrer Defizite nicht bewußt sind und erst durch ein Erlebnis, daß sie an ihre physischen und psychischen Grenzen bringt, erkennen, was ihnen gefehlt hat. Wer hätte das gedacht? Trotz all der menschlichen Abgründe, zu denen sich Fincher in seinen Filmen hingezogen fühlt, und der beunruhigenden handwerklichen Virtuosität, mit der er davon erzählt, bleibt er letztlich doch ein sentimentaler Humanist. Hinter der gelackten, kühl-distanzierenden Optik, in der ominös-melancholischen Musik und in den verstörend-düsteren Winkeln seiner akribisch arrangierten Filmwelten pocht doch ein überaus sensibles Herz für fehlgeleitete Außenseiter. Und Michael Douglas in seiner Paraderolle als das traurige Arschloch vom Dienst darf hier einmal mehr zur Hochform auflaufen, um nach und nach heruntergestutzt zu werden. »Sometimes all you need is a hug…«
2011-01-21 17:43