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Auf der Flucht

The Fugitive. USA 1993. R: Andrew Davis. B: Jeb Stuart, David Twohy. K: Michael Chapman. S: Don Brochu, Dennis Virkler, Dov Hoenig u.a. M: James Newton Howard. P: Warner Bros. D: Harrison Ford, Tommy Lee Jones, Sela Ward, Julianne Moore, Joe Pantoliano, Andreas Katsulas, Jeroen Krabbé, Daniel Roebuck, L. Scott Caldwell, Tom Wood u.a.
130 Min.

Augen im Hinterkopf

Von Asokan Nirmalarajah Als es in Folge des unerwartet großen Kassen- und Kritikererfolgs von Auf der Flucht (1993) darum ging, so schnell wie möglich eine Fortsetzung auf die Beine zu stellen, war es nur konsequent, daß das Sequel den zugegebenermaßen etwas einfallslosen Titel Auf der Jagd (1998) trug. Unterstreicht doch der Perspektivwechsel, auf den bereits die englischen Originaltitel aufmerksam machen (auf The Fugitive folgte U.S. Marshals), daß schon der Originalfilm seine beachtliche Suspense gleichermaßen aus der panischen Flucht des Protagonisten wie aus der obsessiven Verfolgung durch seinen Antagonisten bezieht. Die Vorlage zu dem so geradlinigen wie effektiven Actionthriller bot die gleichnamige Fernsehserie aus den 1960ern, die sich eines beliebten Erzählmusters Alfred Hitchcocks – ein Unschuldiger auf der Flucht vor dem Gesetz (Die 39 Stufen, Der unsichtbare Dritte) – annahm und erfolgreich serialisierte. Anders als bei Hitchcock erfährt in der Serie und in ihrer Leinwandadaption der pflichtbewußte Gesetzeshüter, der den Flüchtling jagt, eine nahezu gleichwertige, wenn nicht gar interessantere Konturierung. So entscheidend also auch die Besetzung des Fugitive mit Harrison Ford, der zu der Zeit noch ein gutes Händchen für publikumswirksame Filmstoffe wie diesen hatte, für den kommerziellen Erfolg der Verfilmung war, Kritiker jeden Geschlechts verloren ihr Herz reihenweise an Tommy Lee Jones in der Oscar-prämierten Rolle des grimmigen U.S. Marshals Samuel Gerard.

Und wer mag es ihnen auch verübeln. Der gehetzte, ängstliche und unbeholfen herumstolperende Sympathieträger der Geschichte mag der von Ford gewohnt konzentriert wie agil gegebene Chirurg sein, der für den Mord an seiner Frau zum Tode verurteilt wird. Eine glückliche Serie kurioser Zufälle, die sich zu einigen der denkwürdigsten Actionsequenzen der jüngeren Filmgeschichte türmen, kann ihm dabei immer wieder zur Flucht verhelfen. Die ungleich attraktivere, weil faszinierendere Identifikationsfigur stellt allerdings der getriebene Gesetzeshüter Gerard dar, den Jones mit bewährt markantem Knautschgesicht, rauer Stimme, eisigem Stahlblick und augenzwinkernder Ironie ausstattet. (Böse Zungen, genauer: diejenigen Journalisten, die schon einmal versucht haben, mit Jones ein Interview zu führen, würden gar behaupten, der notorisch mundfaule Star hätte sich als wortkarger, medienscheuer Gerard eigentlich nur selbst gespielt.) Gerard wird von der Kamera sogar so souverän in Szene gesetzt, daß er im Unterschied zu allen anderen Figuren des Films und bis auf die letzte Konfrontation mit seinem anvisierten Fang, immer in der Lage ist zu erahnen, was sich hinter seinem Rücken abspielt. So als sei er der eigentliche dynamische Held des Films, streift sein Blick über das Gelände, auf dem er seine Beute wittert, spürt er mit hellseherischer Präzision ihre Präsenz in unmittelbarer Nähe, erahnt er ihre nächsten Schritte und befehligt danach seinen auf ihn perfekt abgestimmten Schützenverein wie ein blinder Meisterdirigent.

Bevor sie sich in dem enttäuschend schablonenhaften Sequel U.S. Marshals ihre Charakterschwächen an den Kopf werfen würden, tritt das stets witzelnde Team um den autoritären Patriarchen Gerard in The Fugitive als eine sich kabbelnde, aber auch herzlich miteinander umgehende Familieneinheit auf. Es sind auch weniger Pflichtbewußtsein und persönliche Moralvorstellungen als strenger Professionalismus und Freude an der Jagd, die die Marshals dabei antreibt. Bevor das Sequel zeigen würde, daß sie als Hauptfiguren leider nicht komplex genug sind, können sie hier noch als amüsante Stichwortgeber glänzen. Der eigentliche Star des Originalfilms spielt indes einmal mehr den unvermittelt einnehmenden Jedermann: Ob Ford, Jahre bevor er mit einem Mordversuch an seiner Frau in Schatten der Wahrheit (2000) einen interessanten, aber im Anschluß kommerziell nicht sehr klugen Imagewandel wagen würde, tatsächlich einen unschuldig Verurteilten spielt, steht dabei nie zur Diskussion. Ist es doch ebenso undenkbar, daß die Zuschauer von Dr. Kimble auf der Flucht jahrelang den Fernsehabenteuern eines entflohenen Mörders hätten folgen wollen, wie das ein selbst auf der Flucht noch so selbstloser Samariter wie Kimble seine bildhübsche Frau (Sela Ward) hätte töten können. Darum nimmt man als Zuschauer auch so viel Anteil an dem Unrecht, das ihm widerfährt und gegen das er sich auf sich allein gestellt und aus eigener Kraft stemmt. Seine Nachforschungen gestalten sich dabei freilich ebenso hanebüchen wie die zahlreichen Flucht-in-letzter-Sekunde-Momente und die recht unspektakuläre Aufklärung der Verschwörung, die den Tod der Gattin verschuldet hat. Diese kleinen Schwächen lösen sich aber im sehr hohen, aber dennoch ausgesprochen wohlkalkulierten Tempo des handwerklich makellosen Thrillers auf. 2011-02-21 11:57

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