Sex, Zen und Baseball
Von Daniel Bickermann
Ende der Achtziger Jahre, einem insgesamt eigentlich verlorenen Jahrzehnt für die Traumfabrik, gab es sie plötzlich wieder auf der Leinwand: die charmanten Verlierer. Irgendwo an der Schnittstelle zwischen noch reichlich angestrengtem Independent-Kino und auf Sommerblockbuster getrimmtem Mainstream versteckten sich zarte kleine Filme wie
Die fabelhaften Baker Boys oder
Harry und Sally. Es waren bittersüße Liebeserklärungen an die Welt und alles, was sie lebenswert macht, die Musik, den Sport, die Liebe – und die Einsicht, daß man zwar meist am Leben scheitert, aber es trotzdem wert war, gelebt zu haben.
Annies Männer ist einer der schönsten dieser Filme, weil er so viele Erwartungen unterläuft. Vor allem diese: Dies ist ein amerikanischer Sportfilm ohne einen Hauch von Pathos. Es gibt keine Bösewichte und keine Meisterschaftsdramatik, nicht einmal ein klimaktisch-dramatisches Endspiel. Wie das geschehen konnte, wird erst klar, wenn man weiß, daß Autor Ron Shelton, der hier auch sein Regie- und Produktionsdebüt gab, früher selbst professioneller Baseballspieler in den berüchtigten unteren Ligen war, wo private Wehwehchen schonmal schwerer wiegen als das nächste Spiel. Wo Baseball noch nicht eine industrialisierte Sponsoren-Maschinerie ist, sondern noch Teil einer lokalen Gemeinschaftskultur: Egal, ob Hochzeit, Wohltätigkeitsveranstaltung oder Nationalfeiertag – das Stadion ist für Jung und Alt zum kommunalen Versammlungsraum geworden. Deswegen widmet Shelton auch so viel Zeit und Liebe den skurrilen Nebenfiguren, dem Pausenclown, dem Stadionluder, dem christlichen Spinner und dem hispanischen Esoteriker. Sie spielen für den Plot keine große Rolle, aber sie sind essentiell für das Bild von Sport als Gemeinschaftsaktivität, das Shelton entwerfen will. Und so sucht man auch vergeblich nach den typischen Hollywood-Überhöhungen oder klischierten Entwicklungen: Der junge Hitzkopf wird kein Superstar, aber er geht einen Schritt nach vorne. Der altersmüde Veteran erlebt keinen triumphalen zweiten Frühling, aber doch einen kleinen, unscheinbaren Sieg der Geduld. Und Annie… nun, Annie ist eine ganz eigene Geschichte.
Daß der schlacksige Tim Robbins einst ein begabter Komödiant war, ist bekannt; und daß Kevin Costner unter Sheltons Regie stets aufblühte, weiß man auch: Einige Jahre später schrieb er ihm in
Tin Cup gleich noch einen der charmantesten Verliererhöhepunkte der Filmgeschichte auf den Leib. Aber Susan Sarandon, deren Figur vom deutschen Titel nicht ganz zu Unrecht ins Zentrum des Films gerückt wird, hat ihren eigenen Absatz verdient. Daß in einem Film über den Männersport Baseball eine derart freigeistige, polygame, selbstbestimmte, durchgeknallte und doch reife Frau überhaupt auftaucht, grenzt ja schon an ein Wunder. Und daß es in einer Dreieckskomödie mit zwei so unterschiedlichen Männern üblicherweise die Aufgabe der Frau ist, den passiven Preis des Kampfes zu repräsentieren, darum schert sie sich einen feuchten Kehricht. Susan Sarandons Annie ist eine der herausragenden und komplexesten Frauenfiguren der Achtziger Jahre: Und wenn sie mal wieder im Stadion die Gedichte von Thomas Gray zitiert oder im Bett das vermeintliche literarische Talent von Susan Sontag, dann starren wir (gemeinsam mit Costner) diese Figur an und fragen: »Who are you?« Sie ist, wenig überraschend, die Essenz des Baseballs. Sie ist Kommentatorin, Publikum, Richterin und Groupie in einem, und sie ist im wahrsten Wortsinne der Schoß der Gemeinschaft, die Lebenslust der Community, ohne die dieser Sport nur seelenloses Gekloppe und dieser Film nur eine weitere testosterongetriebene Seifenoper wäre. Sie bringt den Sex mit und die Sinnlichkeit, die Weisheit und die Spritzigkeit in einen der schönsten Filme der Achtziger.
2011-07-14 17:27